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Das Konstrukt Intelligenz

Ein Artikel der barricada – zeitung für autonome politik und kultur einem seit längerem eingestellten Projekt der Nürnberger Autonomen, an dem ein paar unserer Redakteure mehr oder weniger intensiv mitgearbeitet oder hin und wieder einmal geschrieben haben. Das Projekt ist seit einigen Jahren tot, doch wir wollen einige der beachtenswertesten und noch immer aktuellen Artikel neu veröffentlichen. Der folgende Artikel erschien in der Januar Ausgabe von 2013.


Anansi, die trickreiche Spinne, beschloss einst, das klügste Wesen der Welt zu werden. Also zog Anansi aus, um die Weisheit aller Wesen zu sammeln. Die einen betrog er, um an ihr Wissen zu gelangen, von manchen stahl er ihre Klugheit, doch die meisten beschenkten Anansi bereitwillig – schließlich war er eine beeindruckende Spinne, der man gern einen Gefallen tat. Anansi verwahrte die gesammelte Weisheit sicher in einer großen Kalebasse. Als es nichts mehr zu sammeln gab, kehrte er nach Hause zurück und überlegte, wo das klügste Wesen der Welt seine Kalebasse sicher verstecken könnte, damit niemand das Wissen fände und er für immer der Klügste bleiben würde. Unter dem Sofa war kein Platz mehr, also entschied Anansi, dass der Wipfel eines hohen Baumes der sicherste Platz für die Weisheit der Welt sei. Er schnallte sich die Kalebasse vor den Bauch, denn es war klar, dass er alle acht Beine brauchen würde,um den Baum zu erklettern. Höher als bis zur Hälfte kam er nicht. Anansi rutschte immer wieder ab, denn die Kalebasse war ihm im Weg. Ntikuma, der kleine Sohn Anansis, hatte die fruchtlosen Bemühungen der Spinne beobachtet und rief schließlich: „He, warum schnallst du dir die Kalebasse nicht einfach auf den Rücken, dann hast du besseren Halt.“ Anansi versuchte es und gelangte auf diese Weise tatsächlich bis zur Spitze des Baumes. Da ging Anansi ein Licht auf. Er nahm die Kalebasse und schüttete den Inhalt, den er so emsig gesammelt hatte, über die ganze Welt aus. Den vorlauten Ntikuma allerdings verdrosch er ganz fürchterlich, denn Traditionen sind fordernd.

Ein Teil der LeserInnen hat uns an dieser Stelle bereits verlassen. Wir sind jetzt unter uns und können beginnen: Intelligenz ist eine feine Sache. Man kann gar nicht genug davon haben und schätzt sie hoch. Mangelt es einem Menschen an dieser magischen Substanz, darf man ihn verachten (auch als Linke/r). Bei anderen Mängeln und Gebrechen ist dies bekanntlich nicht der Fall. Wie Langzeitstudien ergeben haben, ist der sicherste Weg, ein Gespräch abzubrechen und jeden zukünftigen Kontakt zu verhindern nicht etwa, seinem Gegenüber ins Gesicht zu spucken, sondern ihm Intelligenz abzusprechen. Das Intelligenzkonzept ist selten Gegenstand einer radikalen Kritik, obwohl es zentraler Bestandteil der Selektion nach den Maßgaben des kapitalistischen Wirtschaftens ist, zu vielerlei Diskriminierungen führt und eine der wissenschaftlichen Rechtfertigungen der gesellschaftlichen Ungleichheit darstellt. Die zahlreichen Diskussionen um den Begriff Intelligenz und die gängigen Intelligenzmodelle drehen sich häufig um die Aktualisierung und Verfeinerung des Konzeptes. Linke zielen in ihrer Kritik oft auf einen „gerechteren“ und umfassenderen Intelligenzbegriff ab. Ihre Argumentation deckt sich dabei teilweise mit der einiger BildungspolitikerInnen und WissenschaftlerInnen, die objektiv dem Interesse der Wirtschaft nach fortwährender und verbesserter Feinabstimmung der Selektion gerecht werden. Wir stellen eine andere Herangehensweise zur Diskussion: Die Ablehnung des Intelligenzkonzeptes.

Intelligenz – Was soll das sein?

Man könnte annehmen, dass es für ein allseits anerkanntes Konzept eine halbwegs einheitliche Definition gibt. Dies ist beim Intelligenzbegriff nicht der Fall. Die allgemeine Handhabung des Begriffs funktioniert aber offenbar, trotz stark divergierender Definitionen. Irgendwie hat selbstverständlich jede Beschreibung von „Intelligenz“ etwas mit einem Teil der Hirntätigkeit zu tun, nämlich mit Verstandesleistungen. Wir bieten einige der derzeit gehandelten Definitionen zur Auswahl an: „Zielgerichtetes adaptives Verhalten“; „Die globale Kapazität eines Individuums, zweckmäßig und rational zu handeln und effektiv mit seiner Umwelt umzugehen“; „Die Fähigkeit, mit kognitiver Komplexität umzugehen“; „Die Neigung menschlicher Wesen, die Struktur ihres kognitiven Arbeitens zu modifizieren, um sie den sich verändernden Anforderungen einer Lebenssituation anzupassen“, „Die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit eines Menschen“; „Die Fähigkeit der Einsicht“; „Allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Lebensbedingungen“. Natürlich gibt es längere und detailliertere Definitionen, doch konkreter werden auch diese nicht. Im wesentlichen scheint die Intelligenz eine irgendwie am Hirn festzumachende Größe zu sein, die bestimmten Funktionen zugrundeliegt. Ein Potential, das zu kognitiven Leistungen befähigt – und durch seine notwendige Beschränktheit die Befähigung zu anderen Leistungen ausschließt.

Eine witzige Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, „Begabte Kinder finden und fördern – Ein Ratgeber für Elternhaus und Schule.“ belehrt uns:

„Allgemeine intellektuelle Begabung (oder kurz: Intelligenz) ist kein physikalisches Merkmal wie Größe oder Gewicht, das man sehen oder tasten und mit einem Meßinstrument, wie einem Zollstock oder einer Waage, direkt erfassen kann. Intelligenz ist ein Konstrukt, d. h. ein von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen geprägter Begriff zur Beschreibung kognitiver Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten sind nicht direkt beobachtbar, sondern können nur aus bestimmten Anzeichen (z. B. aus der richtigen oder falschen Bearbeitung der Aufgaben eines Intelligenztests) erschlossen werden. Es gibt viele unterschiedliche Definitionen von Intelligenz. Gemeinsam ist den meisten Definitionen, daß sie mit Intelligenz die Fähigkeit bezeichnen, sich in neuen Situationen auf Grund von Einsichten zurechtzufinden oder Aufgaben mit Hilfe des Denkens zu lösen, ohne daß hierfür die Erfahrung, sondern vielmehr das Erkennen von Beziehungen das Wesentliche ist.“

Freerk Huisken hat in seinem Buch „Die Wissenschaft von der Erziehung. Einführung in die Grundlügen der Pädagogik“ darauf hingewiesen, dass der Vorstellung von Begabung und Intelligenz ein tautologischer Rückschluss zu Grunde liegt: Aus dem Erbringen einer Leistung wird geschlossen auf das Vermögen, diese Leistung zu erbringen. Das ist eigentlich überflüssig, da die Möglichkeit mit dem Erbringen bereits verwirklicht ist. Dass es den LeserInnen möglich ist, diesen Artikel zu lesen, ist in dem Fakt, dass sie ihn lesen eben eingeschlossen. „Sinnlos“, so Huisken, „ist diese theoretische Übung dennoch nicht. Sie ziehen diesen ‚Schluß‘ nur, um die Möglichkeit einer Leistung als selbständiges Ding neben die Leistung zu stellen und als verursachende Kraft ins Spiel zu bringen“ Durch diesen Kniff soll freilich nicht geleugnet werden, dass man sich Wissen und Können erst aneignen muss, sondern die Grundlage und ideologische Rechtfertigung geschaffen werden für Diskriminierung und Auslese. Lassen wir noch einmal Huisken zu Wort kommen: „kaum ist [ein Stück Wissen] erarbeitet, soll die neue Kenntnis nicht auf diese Tätigkeit des Geistes zurückgehen. Unterschiede im Wissen und Können gelten nämlich nicht als Hinweis darauf, daß die Individuen offenbar recht unterschiedlichen Gebrauch von der Tatsache machen, daß sie allesamt über einen Geist verfügen. Diese rationelle Feststellung würde die ganze Absicht konterkarieren, den Individuen mit dem Verweis auf die Intelligenz eine ihren Verstandesgebrauch beschränkende Kraft anzudichten. Also muß für jedes angeeignete Wissen ein anderer Grund her: Man weiß, was man weiß, weil dem Geist die Erarbeitung dieser Einsichten durch eine Kraft namens Intelligenz ermöglicht wurde.“

Intelligenztests – Wer braucht sowas?

Die so konstruierte Intelligenz ist natürlich eine Größe, die gemessen werden soll und kann. Daraus ergibt sich die Frage, welche kognitiven Aufgaben für diese Messung herangezogen werden sollen. Auch bei hierarchischen Intelligenzmodellen, die einen übergeordneten Generalfaktor kennen, der auf alle einzelnen Leistungsbereiche einwirkt, müssen die konkreten Testaufgaben notwendigerweise aus bestimmten Gebieten der kognitiven Leistung stammen. Rechnerisches Denken, Sprachverständnis, Kurzzeitgedächtnis, Abstraktionsfähigkeit, logisches Denken, aber manchmal auch Allgemeinwissen und Wortschatz werden, unter anderem, herangezogen, um Tests zu konstruieren. Auswahl und Gewichtung der Aufgabengebiete hängen mit den Fähigkeiten zusammen, die in der Wirtschaft (aber auch beim Militär) als wünschenswert gelten. Selbstverständlich sind auch die Bildungseinrichtungen von der KiTa bis zur Hochschule darauf ausgerichtet, der Wirtschaft passende Arbeitskräfte zuzuführen und der herrschenden Klasse einen Nachschub an politischem und administrativem Personal und neuen IdeologieproduzentInnen usw.. (Weil nicht nur Manager, Bundeskanzler und UniprofessorInnen gebraucht werden, funktionieren diese Einrichtungen gleich noch als Selektionsmaschinen, die den größten Teil der lieben Kleinen von weiterer Bildung auschließt). Tatsächlich stellt die Korrelation des ermittelten Intelligenzquotienten mit den Schulnoten der Testpersonen ein wichtiges Außenkriterium für die Validität von Intelligenztests dar. Ein weiteres Außenkriterium ist, wie stark die spätere berufliche Karriere mit dem korrelliert, was der ermittelte IQ erwarten ließ.

Die Broschüre „Begabte Kinder finden und fördern“ meint in diesem Zusammenhang:

„Bei der Entwicklung eines Intelligenztests gilt es nun zu prüfen, ob er das mißt, was seine Entwickler als Intelligenz definiert haben. Zum einen untersucht man deshalb, inwieweit die Ergebnisse des neu entwickelten Tests mit bereits bestehenden IQ-Tests, die auf ähnlichen Definitionen beruhen, übereinstimmen. Zum anderen sucht man nach sogenannten ‚Außenkriterien‘, wie z. B. Lehrerurteile und Schulnoten, und überprüft deren Übereinstimmung mit den Testergebnissen.“ Aus Kindern, denen Intelligenz zugesprochen werden kann, macht die kapitalistische Gesellschaft eher etwas als aus dem Rest. Dass dies an ihren recht stabilen Fähigkeiten (Intelligenz) liegt, die von Tests richtig gemessen wurden, wird dadurch bewiesen, dass die Gesellschaft eher etwas aus ihnen macht.

Natürlich sind die gängigen Intelligenztests auch innerhalb ihrer durch die Verwertungslogik bestimmten Funktion ungerecht. Tatsächlich sind sie Gegenstand von Klassenauseinandersetzungen (wie auch die berühmte Frage „Vererbung oder Umwelt?“, die für hochideologisierte und lähmend fruchtlose Vorträge in Hörsälen und auf Parties sorgt). Individuen, die aus den berüchtigten „bildungsfernen Schichten“ stammen, auf die das Kleinbürgertum und Teile des Proletariats so herzlich gerne herabblicken, sind mit beispielsweise sprachlichen Analogien eher nicht vertraut, ihnen fehlen unter Umständen einfach die Sprachkenntnisse. Je mehr Bildung ein Mensch genossen hat, umso besser wird er bei Intelligenztests abschneiden (wiederum dieser Zirkel). Je erfahrener er allgemein im Umgang mit Tests ist und je geübter in den geforderten Denkweisen, umso leichter erreicht er einen hohen IQ. Für „Unfairness“ sorgt außerdem der Umstand, dass ein Intelligenztest nicht allein die richtige Lösung der gestellten Aufgaben fordert, sondern ihre Bewältigung in einer bestimmten Mindestgeschwindigkeit. Auch diese Übereinstimmung mit der Schule ist natürlich nicht zufällig. Auch hier geht es um die Bedürfnisse der Wirtschaft – Zeit ist Geld! Die Liste der „Ungerechtigkeiten“ ließe sich lange fortsetzen. Wir kürzen ab: Intelligenztests benachteiligen die selben Personengruppen, denen auch die Bildungseinrichtungen übel mitspielen. Sie bevorzugen Individuen, die aus der selben Kultur und der selben Klasse stammen wie die Testkonstrukteure. VertreterInnen der etablierten Bourgeoisie dürften diesem Umstand im Durchschnitt weniger kritisch gegenüberstehen als diejenigen, die aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit oder –herkunft eher eine zweckmäßigen Erhöhung der gesellschaftlichen Durchlässigkeit befürworten. Versuche, über verschiedene Maßnahmen größere soziale und interkulturelle Fairness herzustellen, stellen keinesfalls die Selektion und Einstufung in Frage, sie wollen sie aber zum besseren Nutzen der Wirtschaft sachgerechter gestalten.

Dem kapitalistischen Wirtschaftsbetrieb kommt eine Erweiterung und Modifizierung des Intelligenzbegriffs durchaus entgegen. Die Theorien der multiplen Intelligenzen oder der emotionalen Intelligenz sorgen für eine Einbeziehung dessen, was in einer modernen kapitalistischen Gesellschaft als kompetentes Sozialverhalten gilt. Das Konstrukt der sozialen oder emotionalen Intelligenz stellt also nicht in erster Linie ein Trostpflaster für die Doofen dar. Ein IQ von 130 ist zum Beispiel im Sozialmanagement oder in der Teamarbeit nicht immer ein Nachteil, aber eben auch kein Hinweis auf ausreichende Kompetenz in diesen Bereichen. Außerdem geraten in das Blickfeld der Wissenschaft vermehrt die Kosten, die durch das alltägliche Gegeneinander im Management oder durch Soziopathen (bekanntlich sitzen nur die erfolglosen Soziopathen in Knästen und anderen Anstalten, die erfolgreichen hingegen in den Chefetagen) verursacht werden.

Wozu das Konstrukt Intelligenz dient, wieso es sich wandelt und mit ihm natürlich die Tests, dürfte nun ausreichend dargelegt sein. Was die Intelligenztests (wie auch immer ihr jeweiliges Design sein mag) messen, gilt per Konvention als Intelligenz. In diesem Sinne gibt es also eine Intelligenz, und ihre korrekte Definition liefert uns der Experimentalpsychologe Edwin G. Boring, der vor knapp hundert Jahren selbst an der Entwicklung von Intelligenztests für das amerikanische Militär beteiligt war: „Intelligenz ist, was die Tests testen.“

Und die Dummheit?

Ach, die Dummheit! Lassen wir in diesem Zusammenhang gleich den notorischen Thilo Sarrazin zu Wort kommen, der sich wie alle Eugeniker sehr für Intelligenz interessiert: „Intelligenz ist aber zu 50 bis 80 Prozent erblich. Deshalb bedeutet ein schichtabhängig unterschiedliches generatives Verhalten leider auch, dass sich das vererbte intellektuelle Potential der Bevölkerung kontinuierlich verdünnt.“ Letzteres stimmt weder, noch ist es das, was er meint, aber: Geschenkt! Das wesentliche ist: Dumm fickt viel und verhütet weniger als die Intelligenten, und da Blödheit erblich ist, wird die Gesellschaft insgesamt dümmer. Mit der Behauptung der Erblichkeit werden nicht nur die stigmatisiert, die gegenwärtig bei Intelligenztests schlecht abschneiden, sondern gleich ihre ganze Nachkommenschaft. Die Armen insgesamt bleiben arm, weil sie dumm sind. Ganze Gesellschaften bleiben arm, weil es ihnen an Intelligenz mangelt.

Sarrazin hat mit einiger Wahrscheinlichkeit einen IQ, der über dem Mittelwert (100) liegt, und das bringt uns zurück zur „Dummheit“. Müssten wir, wenn wir auf den Begriff „Intelligenz“ verzichten, auch den Begriff „Dummheit“ fallen lassen? Wo doch die Dummheit allgegenwärtig ist, punktuell oder andauernd bei Menschen (mit einem Intelligenzquotienten von 140 oder von 60, egal) ganz augenfällig vorhanden ist? Eher nicht! Wir schlagen vorläufig eine negative Definition von Dummheit vor: Das Gegenteil von Dummheit ist nicht „Intelligenz“, sondern der Verzicht auf Ignoranz, der Verzicht darauf, den Gebrauch der eigenen Birne (deren Vorhandensein zu 100% genetisch bedingt ist) zu unterlassen.

Ein Plädoyer

Seriöse und interessante Aussagen über kognitive Leistungen (und ihre neurophysiologischen Grundlagen) sind von anderen Disziplinen als der Psychologie zu erwarten. Der barricada-Redaktion mangelt es zur Zeit aber an HirnforscherInnen. Daher sollte klar sein, dass der vorgeschlagene Verzicht auf das Konstrukt „Intelligenz“ keine konstruktive Kritik darstellt und von manchen als Zumutung empfunden werden muss. Der Kapitalismus braucht dieses Konstrukt. Brauchen wir es auch? Müssen wir den gesellschaftlichen Rassismus, der am ungeniertesten auftritt, reproduzieren? Wie betrachten wir „Intelligenzunterschiede“ unter dem Gesichtspunkt der Perspektive des Kommunismus? Sollten diejenigen mit überdurchschnittlichem IQ (per definitionem 50% der Bevölkerung, nach Selbsteinschätzung aber deutlich mehr) über eine „Critical brightness“ gönnerhaft die „Minderbegabten“ emporheben?

Es ist anzunehmen, dass eine von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat befreite Gesellschaft Unterschiede in dem, was heute von Intelligenztests gemessen wird, weitgehend nivellieren wird. Etwaige noch bestehende Divergenz dürfte dann irrelevant sein hinsichtlich einer gesellschaftlichen Wertung. Alle Beiträge der Einzelnen zu kollektiven Lösungsprozessen besitzen in einer sich wirksam zum Besten entwickelnden Gesellschaft Wert. Wir leben aber nicht in einer solchen Gesellschaft, sind jedoch als revolutionäre Linke darauf angewiesen, möglichst clever vorzugehen.

Eine Lösung könnte für uns in dem liegen, was auch in einer Gesellschaft ohne soziale Ungleichheit der zentrale Punkt sein dürfte: In der Kollektivität. Bekanntlich können auch Kollektive dumm sein. Sie bergen durch bestimmte Mechanismen und den Umstand, dass Einzelne in dem Maße, in dem sie in einer Frage inkompetent sind dazu neigen, ihre Kompetenz zu überschätzen, die Gefahr, ins dumpfe Mittelmaß zu führen. Es gilt also, die Wege der gemeinsamen Theoriebildung und der kollektiven Verstandestätigkeit zu optimieren.

Wir sind als revolutionäre Linke geradezu gezwungen, unsere Birnen so gut und so kritisch und selbstkritisch wie möglich zu gebrauchen und Organisationen hervorzubringen, die möglichst auf kollektive Dummheit verzichten. Diese Gruppierungen sollten schließlich auch als kollektive Intellektuelle fungieren, die bürgerliche und keinbürgerliche Weltbilder, Konzepte und Vorstellungen nicht einfach akzeptieren. Sehr vieles von dem, was uns heute als universell gültig verkauft wird und von erschreckend vielen Linken unhinterfragt hingenommen und gar übernommen wird, wird das Ende des Kapitalismus nicht lange überleben.