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Im Konkurrenzkampf um Privilegien kann es keine Solidarität geben

Interview mit Marie Vollbrecht


Wenn es um Themen wie Geschlecht und Geschlechtsidentität geht, verbreite der Öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ein „Zerrbild der Realität, das auf widerlegbaren Falschinformationen fußt“, so eine Gruppe von NaturwissenschaftlerInnen und MedizinerInnen in einem kürzlich veröffentlichten Dossier. Ein dazugehöriger Beitrag in DIE WELT hat hohe Wellen geschlagen und die Kritik daran reicht von „wissenschaftlich veraltet“ über „transphob“ bis hin zu Nazi-Vergleichen.
Auch bei uns sind Dossier und Artikel nicht unumstritten, weswegen wir uns dazu entschlossen haben, Marie Vollbrecht, eine der wissenschaftlichen AutorInnen, zu interviewen.


Intention

Hallo Marie, Du gehörst zu einer Gruppe von WissenschaftlerInnen, welche auf Grundlage eines von euch erarbeiteten Dossiers unter dem Titel „Ideologie statt Biologie im ÖRR“ einen Aufruf veröffentlicht hat, in dem ihr den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk dazu auffordert, „biologische Tatsachen und wissenschaftliche Erkenntnisse wahrheitsgemäß darzustellen“. Was hat euch dazu veranlasst, so einen Aufruf zu starten und das Dossier anzulegen?

Wir haben festgestellt, dass immer weniger Menschen sich in der Lage sehen, die Fragen „Was ist eine Frau“ oder „Wie viele Geschlechter gibt es?“ korrekt zu beantworten. Als Standardantwort kam stets „Die Wissenschaft ist da schon weiter“ oder „Die neue Biologie hat festgestellt“. Als „Beweise“ wurden oft und immer dieselben Formate des ÖRR verlinkt. Das hat uns stutzig gemacht und veranlasst, näher hinzusehen.

Um sowohl den Aufruf als auch das Dossier in die Öffentlichkeit zu bringen, habt ihr einen Beitrag in der WELT verfasst. Die von euch publizierten Inhalte und dass ihr euch damit an die rechte Springerpresse gewandt habt, haben hohe Wellen geschlagen. Wie zu erwarten, gab es in den sozialen Medien einen „Shitstorm“ und etliche Medien haben euer Dossier und euren Beitrag in der WELT aufgegriffen und kritisiert. Besonders Teile der Linken und „Queer-Feministinnen“ kritisieren euch. Warum habt ihr euch mit eurem Anliegen an die Springerpresse gewandt, gab es Versuche, das Dossier anderen Medien zugänglich zu machen? Wie hast Du die Reaktion auf den Artikel erlebt?

Wir haben uns mit unserem Anliegen und unserem Dossier an verschiedene Zeitungen gewandt. Mir wäre es auch lieber gewesen, Taz oder Jungle World hätten das Thema aufgegriffen. Die Frage, wer oder was eine Frau ist, und wie viele Geschlechter existieren, scheint aber heute so kontrovers zu sein, dass nur DIE WELT Interesse daran hatte. Die Kehrseite war natürlich eine provokante Aufmachung und eine reißerischere Präsentation als wir antizipiert hatten. Unser Titel war ursprünglich „Aufruf von Wissenschaftlern gegen die Fehlberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Da der Artikel hinter einer Paywall veröffentlicht wurde, hielt man es wohl für nötig, ihn mit Worten wie „sexualisieren“ und „indoktrinieren“ zu bewerben. Ein fataler Irrtum. Der Debatte hätte von Anfang an mehr Sachlichkeit gutgetan.

Online und in den Medien hat der Artikel Wellen geschlagen, er wird zerrissen und wir werden diffamiert. In meinem naturwissenschaftlichen Umfeld erlebe ich eher das Gegenteil. Generell stimmen mir die Menschen da zu.

Auch wir erleben die Debatte um die Themen („Queer-“) Feminismus, Geschlecht und Identität und die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft als durchaus einseitig. Zu denjenigen, die selbige Themen wie ihr kritisieren, gehören bisher in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eher rechte Akteure und konservative Schreiber sowie Wissenschaftler, die allzu oft zu beiden vorher genannten Gruppen gehören. Ihr selbst werdet jetzt auch direkt in diese Ecke gesteckt. Dass euer Kommentar ausgerechnet in der WELT erschienen ist, erleichtert das euren KritikerInnen. Du bezeichnest dich jedoch, wie andere Ersteller des Papiers auch, als Linke. Wie wollt ihr versuchen, vor diesem Hintergrund die Debatte zu führen und weiterentwickeln?

Auch wenn ich selbst mich als politisch links bezeichne, trifft dies nicht auf alle meine Mitautoren zu. Keiner davon ist aber „rechtsextrem“. Sie sind eher im links-liberalen bis liberal-konservativen Spektrum. Uns eint die Kritik an der Identitätspolitik, die wir als „woke Ideologie“ bezeichnen und eine Liebe zur Wissenschaft und Meinungsfreiheit. Ich habe mich bewusst entschieden, meinen Namen mit auf den Artikel zu setzten, auch wenn ich nicht allen Äußerungen uneingeschränkt zustimme. Alles andere wäre unsolidarisch gewesen. Unsere Kritik wird leider hauptsächlich von konservativen und rechten Medien aufgegriffen. Das führt zu einem heftigen Abwehrreflex aufseiten der Linken. Mit den Inhalten wird sich dadurch aus Prinzip nicht auseinandergesetzt, stattdessen Kontaktschuld zu Rechten konstruiert. Ich sehe ehrlich gesagt nicht, wie wir diesen Graben überwinden können. Ich sehe nur, dass es dringend nötig wäre.

In eurem Kommentar für die WELT schreibt ihr unter anderem, „dass eine kleine Anzahl von Aktivisten mit ihrer „woken“ Trans-Ideologie den ÖRR unterwandert“ habe. Dies klingt reichlich verschwörerisch. Ist das einem Kompromiss zwischen den AutorInnen geschuldet oder tiefe Überzeugung? Zu welchem Zweck sollten AktivistInnen den ÖRR unterwandern?

Der Artikel war polemisch. Manche Formulierungen waren rückblickend unglücklich, sie sind jetzt der Aufhänger, um daran eine rechtskonservative, angeblich antisemitische Verschwörung herbei zu fantasieren. Es ist lustig, welche geistigen Kapriolen auf beiden Seiten geschlagen werden. Was den Rechten ihr „Kulturmarxismus“ ist, ist der Linken ihr „alt right white Christian“. Eine alleinerziehende Mutter schreibt anders und hat andere Schwerpunkte als eine linke Feministin oder ein Philosoph. Letztendlich trifft man sich irgendwo in der Mitte. Der Ton sollte provozieren, dahinter stehe ich bis heute, aber ich glaube, ich würde manche Formulierungen nochmal überarbeiten, damit wir eben nicht reflexhaft in diese rechte Ecke gestellt werden. Deshalb hatte ich auch angeregt, eher von einer „woken“ Ideologie zu sprechen und nicht von einer „Queer“-Ideologie und davon, dass wir den ÖRR nicht abschaffen wollen. Vielleicht wäre poststrukturalistische Ideologie oder identitätspolitischer Zeitgeist „besser“ gewesen, aber dann hätten unseren Aufruf wieder nur wenige verstanden.

Niemand, der unseren Aufruf gelesen und verstanden hat, kann ernsthaft denken, wir hätten behauptet, „woke Aktivisten“ hätten sich in den ÖRR eingeschleust, um „die Kinder zu verschwulen“, wie es uns vorgeworfen wurde. Es ging nicht um Homosexualität, es ging nicht mal um Transsexualität, sondern die ideologische und falsche Berichterstattung und ihre Folgen.

Ich denke eher, dass Menschen eines bestimmten Metiers anfällig sind für die von uns kritisierte Ideologie. Wo keine echte Vielfalt der Meinungen herrscht und das Korrektiv von Außen fehlt, kann sich eine Ideologie ungehindert verbreiten, wird aufgegriffen und selbstreferenziell in der Echokammer des ÖRR reproduziert.

Biologie und Feminismus

Kommen wir zum zentralen Thema, der Biologie. Du selbst bist Biologin, sogenannte „Queer-Ideologie“ kritisierst Du von einem wissenschaftlichen Standpunkt. Zur Frage, was Geschlecht ist und wie dieses klassifiziert werden kann, liegen Wissenschaft und „Queer-Feminismus“ völlig konträr. Geschlechtsmerkmale, Gebär-/Zeugungsfähigkeit, unterschiedliche Chromosomen, unterschiedlicher Hormone und durchschnittlich unterschiedlich Zusammensetzung des Körpers (Fett/Muskeln), die biologische Gemengelage ist durchaus kompliziert. Kannst Du den Stand der Wissenschaft zum Thema Geschlechter (Stichwort: Dimorphismus) kurz wiedergeben?

Wissenschaftlich, im Sinne einer objektiv bestimmbaren Realität, ist die Sache sehr klar und unkompliziert. Geschlecht beschreibt zunächst die zwei Rollen männlich und weiblich innerhalb der sexuellen Fortpflanzung von Lebewesen. Vereinfacht kann man sagen, dass es eine asexuelle Fortpflanzung gibt, ohne Geschlechter. Diese bringt immer exakte genetische Kopien, Klone hervor. Demonstrierbar an einem Pflanzen-Steckling, aus dem eine Pflanze wächst, die genetisch identisch der Mutterpflanze ist.

Im Laufe der Evolution, vor etwa 700 Mio. Jahren, kam es irgendwann dazu, dass zwei Organismen der selben Art genetisches Material austauschten und kombinierten. Dies stellte einen enormen Vorteil da. Die Zweigeschlechtlichkeit entstand, die stets zwei unterschiedliche Klassen innerhalb einer Art hervorbringt, deren Körper auf die Produktion von unterschiedlichen Geschlechtszellen oder Gameten ausgelegt sind. Nach diesem evolutionären Grundprinzip kann es stets nur zwei geben. Beim Menschen sind die Gameten unterschiedlich (Anisogamie). Die Individuen, welche eine Anatomie und Physiologie entwickeln, um Eizellen, also große Geschlechtszellen zu produzieren, nennen wir weiblich, diejenigen, welche kleine, bewegungsfähige Spermien herstellen, nennen wir männlich. Menschen können ihr Geschlecht nicht wechseln.

Die Unterschiede, die aus diesem Umstand entstehen (der Sexualdimorphismus), werden mit und durch Zeugung in unseren Genen festgelegt. Im Queerfeminismus wird so getan, als gäbe es ein buntes geschlechtliches Potpourri, das wahllos zusammengesetzt sein kann aus Hormonen, Chromosomen, Anatomie und Physiologie. Das ist wissenschaftlich unhaltbar. Es kann beispielsweise keinen weiblichen Menschen mit Penis geben oder echte Zwittrigkeit. Über 99,9 % aller Menschen lassen sich in männliche weibliche Individuen klassifizieren, bei dem Rest ist es schlicht (noch) nicht feststellbar. Sie sind aber keine dritte Art, und Geschlecht kein Spektrum.

Warum ist Zweigeschlechtlichkeit nicht egal?

Warum ist es nicht egal, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt? Warum ist es nicht egal, dass die Erde keine Scheibe ist? Weil Ideologie nichts in der Wissenschaft zu suchen hat. Weil es entscheidend für die medizinische Forschung ist.

Weil es nötig ist, das politische Subjekt der Frau sichtbar zu machen, welches juristisch nicht mal 100 Jahre als gleicher Mensch gilt und in vielen Teilen der Welt immer noch nicht.

Für den Feminismus ist es nicht egal, weil er die Frau als Objekt und Grundlage seiner Analyse hat.

Für diese braucht es eine klare Definition, was eine Frau ist und wie sie sich zum Mann abgrenzen lässt. Im Gegensatz zum Mann ist eine Frau ein weiblicher Mensch. Der Unterschied liegt in der Biologie in der materiellen Körperlichkeit.

Wie stehen nun diese biologischen Fakten („sex“) in Bezug zu den gesellschaftlichen Konstruktionen („gender“)?

Der Gegenstand „Gender“ kann nur existieren, weil es Sex gibt. Ohne Geschlechter, ohne Körper keine Individualität, keine Diversität, keine zwei Klassen von Menschen. Das biologische Geschlecht kann kulturübergreifend und universell beobachtet werden. Diese Tatsache ist der Ausgangspunkt der gesellschaftlich-soziologischen Analyse der Rollen der beiden Geschlechter. Deshalb behelfen sich die Genderwissenschaften mit der Einführung von „assigned male/female at birth“, um männlich und weiblich zu ersetzen.

Genderwissenschaften brauchen Sex, brauchen Zweigeschlechtlichkeit, aber die Untersuchung von Sex braucht keinen Genderbegriff. Wenn ich die biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen betrachte, welche die Basis für die Ungleichheit der Frau begründen, brauche ich daher unbedingt „Sex“ und ergänzend vielleicht „Gender“.

Von KritikerInnen werden radikale Feministinnen als TERFs, als Trans-Exclusionary Radical Feminist, gelabelt. Dies ist sowohl Fremdzuschreibung als auch Kampfbegriff. Wie steht ihr denn tatsächlich zu Trans-Personen, wo ist der Platz für Menschen mit Geschlechtsdysphorie in der feministischen Bewegung? Haben sie den eurer Ansicht nach überhaupt?

In meinem Kopf ersetzte ich das Wort TERF immer mit Fotze oder Schlampe, dann versteht man die beabsichtigte Wirkung von „Kill a TERF“ und „TERFs boxen“. Offene Frauenfeindlichkeit hat seinen Weg zurückgefunden in den linken Diskurs und linkes Antifa-Mackertum. Es ist eine verächtliche Fremdzuschreibung für genderkritische Frauen oder Frauen, die sich ohne Männer treffen wollen, oder Frauen, die irgendeine Kritik an der „Queer-Ideologie“ äußern, nach der jeder eine Frau sein kann, der das von sich behauptet.

Feminismus zentriert „die Frau“, egal wie diese sich identifiziert. Ausgeschlossen sind per Definition alle Männer, egal wie sie sich identifizieren. Sie sind nicht Bestandteil der Kämpfe von Feministinnen und Frauenrechtlerinnen. Sie sind nicht weiblich, das Kriterium, welches der Radikalfeminismus als Wurzel der Unterdrückung betrachtet.

Die Anliegen von Transfrauen, also männlichen Menschen, und genderkritischen Feministinnen können sich trotzdem überlagern, zum Beispiel im gemeinsamen Kampf gegen Prostitution. Die betrifft zwar hauptsächlich Frauen, aber auch Transfrauen werden überproportional oft sexuell ausgebeutet und ermordet. Die Gründe für den Einstieg bei allen sind häufig Armut und Perspektivlosigkeit.

Wie beurteilst Du diese Zusammenfassung diverser Anliegen unter immer neuen Buchstabenkombinationen wie LGBTIQ+ und FLINTA*? Bei ersterer tauchen Frauen nur als Lesben auf, und es werden (biologische) Geschlechter, Geschlechteridentitäten und sexuelle Orientierungen miteinander vermischt. Was bedeutet das für eine feministische Sicht? Welche Erfahrungen machst Du als Feministin mit der Queer-Bewegung?

„LGB“ beschreibt Menschen, die sich romantisch sexuell zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen. Eine Tatsache, für die sie Abwertung und in Teilen der Welt die Todesstrafe fürchten müssen. „T“ ist ein Regenschirmbegriff für Transsexuelle, Crossdresser, Fetischisten und Menschen, die sich als „nicht-binär“ verstehen. „I“ steht für „Intersexuelle“. Das kann eine Frau beschreiben ohne Gebärmutter oder einen Mann mit einem zusätzlichen X-Chromosom. Hinter dem „Queer“ und dem „+“ verbirgt sich alles, was sonst noch von der sogenannten Hetero-Normativität abweicht.

Welche Anliegen vereinen alle diese Menschen im Buchstabensalat? Für was kämpfen diese Menschen? Welchen gemeinsamen Nenner gibt es hier? Außer einem diffusen Begriff der Vielfalt steckt nichts dahinter, es ist eine willkürliche Zusammenfassung verschiedener Interessengruppen mit unterschiedlichen und widersprüchlichen Motivationen und politischen Zielen. Ähnlich wie „Vielfalt“ und „Feminismus“ erzeugen solche substanzlosen Kampfbegriffe ein wohlig-gutes Gefühl der gerechten Sache, ohne einen Inhalt zu transportieren.

Ein Anliegen der Frauenbewegung war es, Lesben sichtbarer zu machen. Daher wurde „die Lesbe“ neben „der Frau“ hervorgehoben, wie in „Frauen- und Lesbenreferat“. Der Queerfeminismus verdreht das zum Gegenteil. Er ersetzt Frau oder „Frauen und Lesben“ durch FLINTA* und lässt so nicht nur Frauen, also 51% der Menschheit, im Buchstabensalat verschwinden, sondern klammert Lesben aus dem Geschlechterbegriff der Frau aus, während er gleichzeitig durch INTA* ein Einfallstor für Männer liefert, die sich so in den inklusiveren Frauenersatzbegriff hinein identifizieren können. Auch die Worte „Frau“ und „Lesbe“ stehen dank Geschlechteridentität den Männern zur Eigenidentifikation zur Verfügung. Ich habe mich lange selbst als Queer-Feministin verstanden. Ich dachte, naiverweise, es gehe dabei um den Zusammenschluss von Lesben- und Schwulenkämpfen und Frauenanliegen. Historisch gibt es viele Parallelen, und der Schulterschluss unterdrückter Gruppen gegen totalitäre, repressive Regime ergibt Sinn. Diese Allianzen zerfallen aber, wenn kein gemeinsamer Feind mehr die Bewegungen vereint. Sie zerfallen in kollidierende identitätspolitische Bewegungen und Kämpfe um Partialinteressen. Das passiert im Moment beispielsweise bei der Debatte um die Legalisierung der Leihmutterschaft.

Was erreicht ein inklusiver Feminismus für die Frau, welcher die Anliegen von Männern zentriert und die Interessen jeder „marginalisierten nicht heteronormativen Menschengruppe“ vertreten soll? Das Sujet und das Objekt des Feminismus tritt in den Hintergrund. Die Frau wird in der eigenen Bewegung unsichtbar und nur zu einem Buchstaben von vielen. Der Queerfeminismus übersieht und unterdrückt diese Widersprüche und verlangt letztendlich die Unterwerfung der Frau unter die Wünsche und Ziele von Männern. Wenn eine Frau dagegen aufbegehrt, und sei es, dass sie nicht glaubt, dass Männer per Sprechakt zur Frau werden können, oder wenn sie darauf besteht, frauenzentrierten Aktionismus zu betreiben, dann ist sie nach queerfeministischen Verständnis menschenfeindlich. Die Ablehnung des Glaubensbekenntnis ist die moralische Rechtfertigung einer Hexenjagd und die Legitimation dazu, alle bestehenden feministischen Strukturen zu zerstören. Das ist meine Erfahrung.

Soziales und Konstruiertes

Das Patriarchat ist doch in letzter Instanz ein Gewaltverhältnis. Wie sollen wir deiner Meinung nach dieses erklären, wenn wir biologische Fakten außer Acht lassen?

Kurze Antwort? Überhaupt nicht.

Lange Antwort: Was ist die Wurzel der Unterdrückung der Frau, wenn wir diese nicht an biologischen Unterschieden festmachen? Auch ohne Chromosomentest wird eine Klasse der Menschheit abgetrieben, nach der Geburt getötet, verkauft, versklavt, verstümmelt, unterdrückt, erhält weniger Bildung und ist vor dem Gesetz nicht frei und gleichgestellt alleine aufgrund einer geschlechtlichen Klassenzugehörigkeit.

Wenn die Ursache biologisch ist, dann trägt die Frau keine Schuld und keine Verantwortung daran. Sie hat es sich nicht ausgesucht, als Frau geboren zu werden, und dieser ungerechte Zustand muss von Männern und Frauen gleichermaßen bekämpft werden.

Wenn wir die Unterdrückung nicht den biologischen Unterschieden zuschreiben, sondern an den (anerzogenen) Geschlechterrollen oder an einer ätherischen gegebenen „Genderidentität“ festmachen, dann suggerieren wir einen Ausweg oder eine Mitverantwortung an diesem Zustand. Eine maskuline Genderperformance, die Anpassung der Identität, erscheint als Ausweg aus der Unterdrückung. In der Annäherungen an den Mann liegt das Versprechen nach Gleichheit und Freiheit. Der Preis, die Überwindung der biologischen Weiblichkeit, erscheint verlockend. Diese Denkweise ist nicht neu. Schon Clara Zetkin warnte vor solchen Fehlschlüssen der Frauenbewegung: „Gewiß muß die Frauenbewegung im Kampfe mit ihren Gegnern hervorheben, daß die Frau ein Mensch ist, aber sie muß ebenso von der Erkenntnis getragen sein, daß die Frau ein weiblicher Mensch ist“. Die Frau solle nicht „zum Affen des Mannes „werden und „ihn abgucken „wie er sich räuspert, und wie er spuckt“. Sie solle vielmehr für soziale und politische Bewegungsfreiheit, die dem Mann gleichgestellt sei, kämpfen, „welche die Entwickelung der Frau als eines menschlichen Vollmenschen verbürgt“.

In der Medizin, beispielsweise bei Herzinfarkten und bei Corona, sieht man, wie stark die Diagnostik durch die männliche Physiologie als Standard dominiert wird. Da gibt es folglich noch viel zu tun. In anderen Bereichen wurde schon einiges erreicht: Sowohl im Sport als auch im Arbeitsschutz wird berücksichtigt, dass männliche und weibliche Körper sich biologisch unterscheiden. Könnten durch queeren Aktivismus Frauenrechte und -errungenschaften wieder gefährdet werden? Ihr selbst führt in eurem Dossier diesbezüglich beispielsweise kompetitiven Sport an, die Benutzung von Klos und Umkleiden ist ein weiteres oft gebrachtes Argument. Ebenfalls gibt es in puncto positiver Selbstbezug auf den eigenen weiblichen Körper oft Dissens mit Teilen der Trans-Bewegung. Frauen müssen sich doch gerade schützen, weil sie einen Frauenkörper haben und deshalb angegriffen werden. Was bedeutet also die Auflösung der Geschlechterwahrnehmung für die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt?

Man konnte im Umgang mit Corona zwei interessante Effekte beobachten, welche die Rolle der Frau in der Medizin betreffen, oder, vereinfacht, den Stand der Gendermedizin spiegeln. Einerseits ein breites Verständnis der Fachwelt und der Allgemeinheit dafür, wie unterschiedlich die Körper auf das Virus reagieren, und die daher notwendige Inklusion von Frauen in klinischen Studien, erreicht durch verbindliche Richtlinien für Forschung. Durch Feminismus wird der Frauenkörper als eigener Gegenstand der medizinischen Forschung endlich wahrgenommen.

Andererseits wurde vergessen, den weiblichen Zyklus in den Studien zu eruieren, und Erfahrungen von Frauen wurden diesbezüglich zunächst als „Stress-Phänomene“ abgetan.

Diese andauernde Ignoranz gegenüber weiblicher Biologie findet sich nicht nur in alten patriarchalen Medizinerköpfen, sondern dieselbe Ignoranz dominiert den Queerfeminismus.

Die Neurowissenschaftlerin und Ärztin Dr. Lisa Mosconi hat hier den Begriff der „Bikini-Medizin“ geprägt. Frauenkörper werden dabei als Unterart des Männerkörpers verstanden. Nur die Teile, die von einem Bikini verdeckt werden, unterscheiden die Frau vom Mann. Der Queerfeminismus greift es auf, negiert alle Unterschiede und deklariert eine baldige Überwindung dieses körperlichen Baukasten-Prinzips durch das Heilsversprechen der plastischen Chirurgie. Durch Uterustransplantationen stehe man kurz davor, alle Geschlechterunterschiede zu überwinden, was allen neuen Forschungserkenntnissen der Biologie und Medizin widerspricht. Es ist eine Fiktion. Der Queerfemismus degradiert den Frauenkörper auf die primitive Funktion seiner einzelnen schambedeckten Teile. Die Frau wird entmenschlicht.

Wer die Unterschiede zwischen den Körpern negiert und abschaffen will, ob in der Medizin, im Sport oder in der Arbeitswelt, rollt hier einen roten Teppich aus, um die feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen. Der Fingerzeig auf die körperliche Verschiedenheit von Frauen ist nötig für Gesetze und Regelungen, welche die Bedürfnisse und Sicherheit der Frau zentrieren und garantieren; die ihr Gesundheit und Teilhabe am Arbeitsleben und der Gemeinschaft ermöglichen. Teilhabe an der Arbeitswelt schafft finanzielle Unabhängigkeit und ist der sicherste Schutz der Frau vor männlicher Gewalt. Ein wichtiger Meilenstein der gesellschaftlichen Teilhabe sind Frauenräume, die der Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum dienen, wie geschlechtergetrennte Umkleiden, Toiletten, Gefängnisse, Schlafsäle. Geschlechterspezifische Daten erlauben uns, in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen Aussagen über die Lebensrealitäten von Frauen und Männern zu treffen, beispielsweise, in welchem Maße und Verhältnis sie Opfer von sexueller Gewalt werden. Das war bis vor Kurzem gesellschaftlicher Konsens. Durch ein Sprachbekenntnis und eine Willensäußerung soll das ausgehebelt werden, weil jetzt jeder eine Frau sein kann. Im selben Atemzug wird geschlechtsspezifische Gewalt geleugnet bzw. behauptet, dass die Herabstufung eines Mannes zur Frau eine so starke Demütigung an sich darstelle, dass dies Missbrauch verhindere. Die Dokumentation zukünftiger geschlechtsspezifischer Gewalt wird weiter verunmöglicht und weibliche Opfer billigend in Kauf genommen

Das alles spielt aber im Queerfeminismus und Transaktivismus keine Rolle, das angebliche Leid der Transfrau rechtfertigt die weitere sprachliche Entmenschlichung und reale Entrechtung der Frau unter dem Deckmantel der Inklusivität. Das reicht soweit, dass einige Transaktivsten bar jeder Logik alle weiblichen Körperfunktionen, wie die Menstruation, und Erfahrungen für sich beanspruchen, Dabei wissen die meisten Transfrauen, dass sie keinen Frauenkörper haben, denn dies ist der Grund für ihre Geschlechterdysphorie. Sie wollen für Frauen gehalten werden, modellieren und operieren ihre Körper dementsprechend, weil für sie Frau eben keine Frage der Identität ist. Für Männer verkörpert der Besitz und die Vereinnahmung des weibliche Körpers eine phantastische Idee, auf die sie ihre erotischen Fremd- und Eigenwahrnehmung projizieren. Aus demselben Grund ist das Verhältnis vieler Frauen zu ihrem Körper belastet, eben weil sie mit der Realität dieses Körpers leben müssen und wegen ihres Körpers sexuelle Gewalt fürchten müssen.

Auch in unserer Redaktion gibt es unterschiedliche Meinungen zu eurem Beitrag. Eine Kritik lautet, dass ihr im Dossier teilweise konservative Argumentationsmuster benutzt (Stichwort: Frühsexualiserung). Worin soll aktuell eine Gefahr durch „Frühsexualiserung“ von Kindern bestehen und in welchem gesellschaftlichen Zusammenhang (und Interesse) verortest Du das? Natürlich müssen Kinder auch aufgeklärt werden, inwiefern werden sie jedoch – wie in eurem Dossier behauptet – überfordert oder stattdessen zusätzlich verunsichert?

Die Kritik hängt sich oft an Worten wie „unterwandern“ oder „sexualisiert“ auf. Daran wird dann eine rechtskonservative Verschwörungstheorie herbei fantasiert. Das Wort Frühsexualisierung ist überhaupt nicht gefallen. Die Kritik aus rechtskonservativen Kreisen fokussiert sich auf die Aufklärung von Kindern von Personen außerhalb der Familie. Wir fordern dagegen eine altersgerechte Aufklärung, die in der materiellen Realität verhaftet ist. Aufklärung von Kindern braucht eine einfache klare Sprache: Frauen haben eine Scheide und Männer einen Penis. Später müssen sie auch über die Vorgänge der Pubertät aufgeklärt werden. Kinder brauchen dieses Wissen auch, um gegen sexuelle Übergriffe sensibilisiert zu werden.

Grade diese klare Sprache und nötige Aufklärung wird aber von Queer-Ideologen verkompliziert und durch sprachliche Auswüchse wie „die Menstruierenden“ oder „auch Jungen menstruieren“ behindert, während Mädchen einen „weiblichen Penis“ haben. Da wird dann kommentarlos ein Mikropenis bei FUNK in einer Galerie als Vulva bezeichnet. Wenn ein Mädchen im Laufe der Pubertät keine Periode bekommt, dann ist dies nicht einfach die normale Vielfalt, denn „nicht alle Mädchen menstruieren“, sondern erfordert einen Besuch beim Frauenarzt, um die Ursache dahinter abzuklären.

Sexualisierung beschreibt die Konfrontation von Kindern mit sexuellen Inhalten. Ich habe schon vor einigen Jahren in der linken Jugendarbeit beobachtet, dass erwachsene Sexualität an Kinder und Jugendliche herangetragen wird, im Namen der Aufklärung. Sexualität gilt heutzutage als etwas grundsätzlich Positives, wer Kritik übt, ist prüde oder verklemmt. Dass es beim Reden über Sex auch zu Grenzverletzung und Verschiebung der Schamgrenze kommen kann, die oft sexueller Gewalt vorausgeht, wird vollständig ignoriert. Wenn es in Aufklärungsbüchern heißt, die Jugendlichen sollen ein Bordell der Vielfalt planen, wenn Aktivisten dafür plädieren, dass schon Kinder „kinky“ sind und in die richtige Einführung von Knoten eingewiesen werden müssen, wenn es BDSM-Stammtische für Minderjährige gibt, wenn Prostitution als empowernde Sexarbeit abgefeiert wird, dann muss das thematisiert werden. Und zwar nicht nur in konservativen Kreisen. Wenn in ÖRR-Formaten explizite Fetische und Paraphilien kontextlos und voyeuristisch dargestellt werden, und diese bei Youtube von Kindern und Jugendlichen angesehen werden können, muss die Frage nach dem Bildungswert und der Notwendigkeit gestellt werden dürfen.

Der Kapitalismus erzeugt nach Marx auch Entfremdung der Menschen. Identitäten werden brüchiger und diffundieren immer mehr. Gerade in der Pubertät ist Identitätssuche doch ein normaler Entwicklungsschritt. Was die Geschlechtsidentität angeht, gilt es, den Leidensdruck Betroffener zu mindern. Inwiefern wird den Menschen mit dem neuen Transsexuellengesetz (TSG) dabei geholfen?

Frei nach Marx entfremdet der Kapitalismus den Mensch vom Mensch und schlussendlich am Ende von sich selbst. Die sogenannte woke oder Queerideologie funktioniert ähnlich. Sie gibt vor, links und kapitalismuskritisch zu sein, propagiert aber einen konsumorientierten und hedonistischen Hyperindividualismus innerhalb stark reglementierter Grenzen und fordert absoluten Gehorsam. Die Mitglieder kontrollieren und sanktionieren ihr Verhalten ständig gegeneinander; im Konkurrenzkampf um vermeintliche Privilegien kann es keine echte Solidarität geben. Wir wissen, dass gerade Jugendliche, die sich in einer Phase der Identitätsfindung und Abgrenzung befinden, anfällig sind für solche Ideologien mit strengen Regeln, die einerseits das Heilsversprechen der Erleuchtung enthalten und das Versprechen einer Gemeinschaft, andererseits eine Flucht aus den aufgeladenen Erwartungen des Umfelds. Wie bei jeder Religion werden einfache Lösungen für die Wirren der Identitätskrise des Erwachsenwerdens geboten, inklusive irreversibler Manipulationen des eigenen Körpers. Geschlechtsidentität ist ein pseudoreligiöses Glaubenskonstrukt, dass sich an regressiven Geschlechterstereotypen definiert. Kindern und Jugendlichen mit Geschlechterdysphorie sind sehr selten und entwachsen dieser gewöhnlich nach der Pubertät. Ihnen zu erlauben, medizinisch oder juristisch zu transitionieren, ersetzt nicht die Suche nach der Ursache für diesen Wunsch. Das TSG sollte reformiert werden, für die kleine Minderheit der Transsexuellen, aber nicht für identitätsverwirrte Kinder und Jugendliche.

Männlichkeit funktioniert in einer Klassengesellschaft nicht als ungebrochene Identität. Ist ein Feminismus ohne Klassenperspektive überhaupt noch denkbar? Müsste für eine wirkliche Gleichstellung nicht der Reproduktionsbereich (Haus-, Sorge-, Pflege-, und Familienarbeit zur „Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Arbeitskraft“) vergesellschaftet werden, also der Sozialismus den Kapitalismus ablösen?

Frei nach Kollontai: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau und ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus. Die Klassenperspektive muss im Feminismus zwangsläufig mitgedacht werden. Gleichzeitig ist die Frauenfrage kein Nebenwiederspruch, der sich in einer utopischen klassenlosen Gesellschaft von selbst auflöst.

Die Fortpflanzung des Menschen wird niemals gerecht verteilt sein, weil nur Frauen Kinder austragen, gebären und stillen können. Wirkliche Gleichstellung im eigentlichen Sinne kann es so nicht geben. Auch wenn sich einige Frauen der Reproduktion verweigern und so de facto in diesem Gedankenspiel dem Mann gleichstellt werden könnten, ist dies kein realistischer, erstrebenswerter Zustand für alle Frauen. Ein solcher Feminismus, der darin sein Endziel versteht, lässt einen entscheidenden Teil der Frauen, die Mütter, außen vor. Eine politische und soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts muss die Frau als Mensch und die Frau als Mutter mitdenken.

Es ist besonders unter liberalen Feministinnen immer wieder die Rede von toxischer Männlichkeit. Ist dieser Begriff tauglich für eine feministische Kritik und wie beurteilst Du dessen Relevanz im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Ursachen und Strukturen im Kapitalismus? Und welche Rückschlüsse auf das Thema Verunsicherung (auch von Geschlechterrollen) lässt dies zu?

Ich benutze „toxische Männlichkeit“ höchstens ironisch. Es wird einerseits als Synonym für Patriarchat benutzt oder sinnentleert für alles Böse in der Welt. Wenn wir über Geschlechterrollen und Männlichkeit reden, bräuchte es eigentlich als Ergänzung auch das Gegenteil, nämlich den Diskurs, was positive Männlichkeit sein könnte.

Die Annahme der „toxischen“ Männlichkeit folgt im liberalen Feminismus einer etablierten Hierarchisierung, nachdem das „Weibliche“ per Geburt in eine unausweichliche Opferrolle gelangt, während das „Männliche“ zwingend den unterdrückenden Part darstellt. Dieser simple Ansatz bedient aber nur eine einfache Schablone der Geschlechteranalyse. Der ursprüngliche intersektionale Ansatz versuchte, diese einfache Täter-Opfer-Dynamik durch eine multiperspektivische Betrachtung von Klasse und Geschlecht und „Race“ im Verhältnis und in Wechselwirkung zueinander zu untersuchen. Intersektionaler liberaler Feminismus heute kreiert lediglich eine noch kompliziertere Opferpyramide, an deren Fuß der weiße Mann als Verursacher und Täter an allen weiteren Identitäten, Geschlechtern, Nationalitäten und Ethnien steht. Die Frage nach der Stellung eines Individuums in dieser Pyramide tritt an die Stelle der Systemfrage nach Patriarchat und/oder Kapitalismus. Der Begriff der „toxischen Männlichkeit“ reduziert so die eigentlich notwendige Kritik an der Ellenbogen-Gesellschaft immer wieder auf ein individualpsychologisches Problem.

Der Begriff der „toxischen Maskulinität“ erzeugt auch eine grundsätzliche Verunsicherung unter linken Männern. In einem System, wo mir durch die Wahl einer Identität freigestellt wird, entweder Unterdrücker oder Unterdrückte zu sein, erscheint vielen Männern die Identifikation mit der sympathisch erscheinenden Opferrolle statt dem verhassten Täter als die bessere Wahl. Zur vollständigen Identifikation und Solidarität mit dem weiblichen Opfer wird die eigene Männlichkeit abgelehnt, negiert oder ständig „kritisch reflektiert“. Im Gegenzug steht hier das alte patriarchale Gewaltverhältnis in Form derjenigen Männer, welche sich in der Konkurrenz um Ressourcen von Frauen überholt und übergangen fühlen. Durch ein einfaches sprachliches Bekenntnis, nämlich „ich bin eine Frau“ oder auch „ich bin kein Mann, ich fühle mich nicht wie ein Mann“, können solche Männer an die Spitze der Opferpyramide springen. Die augenscheinlich weniger privilegierte Position wird dann vom unmittelbaren Umfeld in Form von Ressourcen, Aufmerksamkeit, Redezeit und Gütern vergolten.

Allgemeines und Schluss

Wie beurteilst Du den Stand der feministischen Kämpfe in der BRD, auch im internationalen Vergleich?

Es ist eine Illusion, dass Deutschland besonders feministisch aufgestellt ist, egal wie viele Frauen und Männer sich selbst als Feministen bezeichnen. Alle feministischen Diskurse ersticken immer wieder im Keim, wenn wir damit beschäftigt sind, die Definition von Frauen zu verteidigen. Alle feministischen Institutionen und Vereine werden von Queerfeministinnen und Transrechtsaktivisten auf der einen Seite, auf der anderen Seite von Männerrechtlern und Väterrechtlern attackiert. Der akademische Feminismus hat sich lange von der Lebensrealität der Frauen entfernt und ergießt sich in theoretischen Debatten um „inklusive“ Sprache. Der liberale Feminismus versucht, die Kommodifizierung des weiblichen Körpers weiter voranzutreiben und als Empowerment umzudeuten.

Deutschland hatte noch nie eine starke (radikal-) feministische Agenda. In Spanien und Südamerika formiert sich zur Zeit der radikale Feminismus gegen den Machismo. Genau wie in Frankreich gehen hier zehntausende Frauen auf die Straße gegen sexuelle Gewalt und Femizide. Hier sind wir vielleicht 50 Frauen in Berlin. Auch der Widerstand gegen die „Transideologie“ hat eine neue, spannende, weltweite feministische Debatte entfacht. In Deutschland wird sie aber noch nicht wirklich abseits der sozialen Medien geführt. In England war sie von Anfang an härter, vermutlich, weil die Kultur der Frauen-Clubs und Frauen-Vereine stärker ist als in Deutschland. Ich bin eigentlich optimistisch, dass zurzeit viele Frauen auch in Deutschland begreifen, dass sie gebraucht werden im Kampf um Frauenrechte, auch wenn sie mit dem Begriff des Feminismus vorher nicht viel anfangen konnten.

Feministische und Antidiskriminierungs-Themen werden heute für imperialistische Außenpolitik (angeblich wertebasiert), z. B. gegen China und Russland, in Stellung gebracht. Was ist die Aufgabe des Feminismus dabei?

Ich habe keine Vorstellung vom Konzept der feministischen Außenpolitik. Die Mitbegründerin des Center for Feminist Foreign Policy, Kristina Lunz, ist nicht mal in der Lage, eine konsistente Definition davon zu geben, was eine Frau ist und was an dieser Form der Außen- und Sicherheitspolitik genau feministisch sein soll. Förderung von Frauenprojekten? Nein, denn das ist ja neuerdings problematisch, Feminismus an Frauen festzumachen. Militarismus von Männern wird als Fleisch gewordenes Patriarchat betrachtet, weshalb es Feminismus als Gegenpol brauche. Nur welchen? Es wird überhaupt nicht klar, welche Form von Feminismus da von Deutschland importiert werden soll. Oder geht es doch nur um Parität, also Frauenquote in der Außenpolitik, die zu besseren Ergebnissen führt, weil Frauen, durch Geburt oder Erziehung bedingt, die bessere Politik machen? Aber dafür bräuchte man wieder eine konsistente Definition von Frauen, ohne die im queerfeministischen Verständnis mitgemeinten Männer.

Feminismus ist in diesem Fall ein entkerntes Wohlfühl-Wort ohne Bedeutung und das Feigenblatt einer politische Waffe, die beliebig gegen global-politische Gegner genutzt wird, während man sich gemütlich mit der Türkei und Katar in Partnerschaft sieht.

Wir sehen durch den Angriff von postmodernen, identitätspolitischen und queeren Ideologien nicht nur einen bürgerlichen Angriff auf die Wissenschaft und den Feminismus, sondern auch auf das Fundament einer revolutionären Linken, insbesondere des Marxismus. Sowohl inhaltlich, durch die Abkehr vom Materialismus, als auch vor allem methodisch (mit erpresserischer Moral und Denunziation). Wie lässt sich vor diesem Hintergrund der legitime Kampf um selbstbestimmtes Leben und gegen Diskriminierung von diesem ideologischen Angriff trennen?

Gute Frage. Vermutlich mit etwas Humor und gegenseitigem Verständnis. Die moralisch Erpressenden sind eine kleine Minderheit. Vielleicht kann man Diskriminierung ansprechen, ohne überall Mikroaggressionen zu vermuten, kann zurückkommen zu dem, was Linke verbinden sollte, die Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Weg von einem Liebhabe-Kuschel-Aktionismus und hin zum ehrlichen Streiten, wo es auch mal laut werden darf, ohne dass es danach eine Gruppentherapie braucht. Wer am Fließband arbeitet, hat vielleicht andere Sorgen, als über die korrekte Sprache und den richtigen Gebrauch von Pronomen belehrt zu werden; vielleicht sollte man sich das öfter vergegenwärtigen.

Zum Schluss: Wie glaubst Du wird die gesellschaftliche Debatte weitergehen? Das Thema birgt enormes Spaltungspotenzial, die Fronten sind verhärtet und scheinen regelrecht antagonistisch zu sein. Die Gefahr besteht, dass sich die Atomisierung der Linken weiter zementieren könnte.Was bedeutet all das für die gesellschaftliche Linke?

Was ich sehe, ist eine Gleichsetzung des identitätspolitischen, postmodernen Wahnsinns mit Linkssein. Es wird völlig austauschbar von Anhängern der Queer-Ideologie sowie deren Gegnern so verwendet. Diese Ideologie wird scheitern, das sollte jedem klar sein, der die Debatte in anderen Ländern verfolgt. Spätestens dann, wenn sie wie jetzt in das Private in einem ungehörigen Maße versucht einzugreifen und Sprache zu kontrollieren. Die Reaktionen auf unseren Artikel geben uns Recht. Viele Menschen haben das Bedürfnis nach einer Debatte. Eine zweite Amtszeit von Trump war vor zwei Jahren noch undenkbar und wird immer wahrscheinlicher. Wenn diese Spaltung nicht überwunden wird und keine kritische Aufarbeitung und kein Einlenken stattfinden, aus Angst, „rechte Narrative“ aufzugreifen oder „reaktionär, verklemmt und menschenfeindlich“ zu erscheinen, dann wird das Pendel bei der nächsten Wahl auch hier nach rechts ausschlagen und die Linke noch mehr ihrer Stammwählerschaft verlieren. Vor allem Frauen. Am Ende wird man Linken, Homosexuellen, der akademischer Elite und dem Feminismus die Schuld geben.

Marie- Luise Vollbrecht ist Biologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität Berlin.

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