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Antifaschismus

„Wo immer sie versuchen sich zusammenzurotten, bekommen sie Ärger.“

Das Antifaschistische Aktionsbündnis Nürnberg (AAB) wurde im Jahr 2019 25 Jahre alt. Ein radikal linkes Bündnis, erfolgreich gegen Faschisten, klar antikapitalistisch, mit Strahlkraft weit über Nürnberg hinaus. Ein AutorInnenkollektiv des AAB legt dar, wie das gelingen konnte.

Woher wir kommen

Ein Antifa-Bündnis, das seit einem Vierteljahrhundert besteht, kontinuierlich arbeitet und aktionsfähig ist, ist in der bundesdeutschen Linken sicherlich eine Seltenheit. Ein radikal linkes Antifa-Bündnis mit einer unmissverständlich antikapitalistischen und revolutionären Ausrichtung, das ein Vierteljahrhundert kontinuierlich arbeitet und aktionsfähig ist, dürfte in der bundesdeutschen Linken ziemlich einmalig sein.

Das AAB sieht sich in der Tradition der revolutionären 68er-Bewegung, der HausbesetzerInnenbewegung, der Anti-WAA-Bewegung in Wackersdorf und auch von „altautonomen“ militanten Kleingruppenstrategien der 80er Jahre. Wie in den meisten Städten führte auch in Nürnberg diese Kleingruppenstrategie zu immer klandestineren, abgeschotteten Zirkeln. Auf der einen Seite gab es eine steigende Anzahl militanter Aktionen. Auf der anderen Seite befand sich die Bewegung auf Talfahrt hinsichtlich ihrer Interventionsmöglichkeiten in gesellschaftliche Diskurse.

Sich auf die genannten Traditionen positiv zu beziehen, hieß in den frühen 90ern deshalb auch, diese Wurzeln solidarisch-kritisch zu hinterfragen, nach neuen Ansätzen zu suchen und sie mit bewährten zu verbinden.

Ausländerfeindliche Pogrome und rassistische Hetze von Politikern und Medien zeigten damals schon, wohin die gesellschaftliche Reise gehen sollte. Antifaschistische Gegenwehr, die über Lichterketten hinausging, war dringend geboten. Junge, teilweise neu zugezogene AntifaschistInnen gründeten Anfang der 90er Jahre in Nürnberg eine eigene Gruppe, die „Mufflons gegen rechts“, die sich zur Keimzelle des AAB entwickelte. Durch spritzige Aktionen, die Suche nach Bündnispartnern und die antifaschistische Mobilisierung vor allem von Schülern, Azubis und Studenten, aber auch von „Altlinken“ machte die Gruppe auf sich aufmerksam. Von Autonomen über sozialistische Studenten bis hin zur DKP entstand eine neue Struktur, die verschiedene radikal linke Gruppierungen zusammenbrachte.

In den Anfängen wurden die Aktivisten des AAB maßgeblich von der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) inspiriert. Das war ein bundesweiter Zusammenhang autonomer Gruppen, der dafür stand, autonome Politik wieder gesellschaftlich anschluss- und bündnisfähig zu machen. Die Mitgliedsgruppen mobilisierten auf lokaler Ebene und bundesweit zu großen antifaschistischen Demonstrationen, an denen bis zu 15.000 Menschen teilnahmen und bei denen ein Schwarzer Block obligatorisch war.

Das AAB hat die autonome Organisierung der Anfangszeit weiterentwickelt. Heute werden in ihm unterschiedliche Politikansätze mit antikapitalistischer Zielsetzung organisatorisch verknüpft.

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung…

Als Antifaschistisches Aktionsbündnis liegt unser Schwerpunkt auf Aktion. Wir sind kein Theoriezirkel, der ideologiekritisch Nachttischlampen dekonstruiert. Wir stellen uns Nazis und Konsorten direkt entgegen. Dennoch haben wir einen antifaschistischen Grundkonsens, der auf einer gemeinsamen Gesellschaftsanalyse basiert:

Totalitarismusgeschwätz ist rechter Quatsch. Es dient ausschließlich dazu, Linke zu denunzieren. Faschistische Ideologie ist kein Extrem, das dem demokratischen kapitalistischen System wesensfremd ist. Der Faschismus ist eine Form bürgerlicher, das heißt kapitalistischer Herrschaft. Er entstammt direkt aus der Mitte der kapitalistischen Gesellschaft. Der Staat des Kapitals, ob parlamentarisch verfasst oder faschistisch, hat den Zweck, die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln und die Profitmaximierung des Kapitals auf Kosten der ausgebeuteten Massen abzusichern.

Ein flüchtiger Blick auf den real existierenden Kapitalismus genügt. Was finden wir hier vor: Konkurrenzdenken, Nützlichkeitsdenken, Leistungsideologie, Selektion, der Stärkere setzt sich durch, Ausbeutung und autoritäre Machtstrukturen in Betrieben, systematische Bekämpfung von ArbeiterInneninteressen, den Versuch, mit nationalem Gemeinschaftsgeschwafel die Klassengegensätze wegzureden, die Sündenbocktheorie, das heißt das Ablenken auf eine gesellschaftliche Gruppe, die für alle Missstände verantwortlich gemacht wird und nicht zuletzt natürlich den Kampf des Staates gegen radikale Linke, die es ernst meinen mit der Überwindung des Kapitalismus einschließlich Polizeiwillkür, die keiner rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegt. Das alles – und die Aufzählung ist sicher nicht vollständig – haben wir bereits im ganz normalen parlamentarisch-demokratischen System.

Der Faschismus bedeutet von all dem nur eine aggressivere und repressivere Form. Faschisten an der Macht haben noch nie die Grundlagen des Kapitalismus in Frage gestellt. Antikapitalistische Rhetorik von Nazis ist immer Augenwischerei. Faschisten sind lediglich der widerlichste Ausdruck kapitalistischer Ideologie und Lebenswirklichkeit.

Der Faschismus ist im Kapitalismus immer eine Herrschaftsoption. Deshalb befördert der bürgerliche Staat faschistische Strukturen und bekämpft antikapitalistische. Deshalb „läuft“ der Geheimdienst eines kapitalistischen Staates, der Nazistrukturen aufbaut nicht „aus dem Ruder“, sondern er macht das, wozu er da ist. Deshalb ist der bürgerliche parlamentarische Staat kein Bollwerk gegen den Faschismus und wir brauchen als Antifaschisten auf ihn nicht zu hoffen.

Max Horkheimer hat nach wie vor recht: „Wer also vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“

Oder mit Erich Fried gesprochen: „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. / Aber ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“

Zugegeben, in der breiten Gesellschaft ist diese Einschätzung nicht mehrheitsfähig, in der radikalen Linken, die sich im AAB organisiert, ist sie Konsens.

Ein weiterer Konsens im AAB lautet: Antideutsche müssen leider draußen bleiben. Wurmfortsätze des Imperialismus, die sich Kommunisten nennen und deren Existenzzweck es ist, Kritiker des Kapitalismus zu kritisieren und linke Strukturen zu zerstören, werden nicht geduldet.

Ansonsten geht es nicht darum, bestehende Unterschiede auszudiskutieren, sondern die Gemeinsamkeiten zu betonen. Kommunistische und anarchistische Gruppen arbeiten problemlos zusammen. „Ihr habt aber 1936 in Spanien…“ kommt im AAB nicht vor. Uns verbindet nicht nur der antikapitalistische Grundkonsens, sondern auch der Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald:

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Mit ihm setzen wir der menschenverachtenden Wirklichkeit des Kapitalismus unsere eigene Utopie entgegen. In dieser Gesellschaft, inmitten dieses riesigen Meeres kapitalistischer Scheiße, in der alles zu einem individualistischen ich, ich, ich verkommen ist, setzen wir auf ein kollektives und solidarisches Miteinander und sehen darin die Wurzeln einer Gesellschaft der Freien und Gleichen. Jetzt denkt ihr möglicherweise: Das habt ihr schön gesagt, aber was macht ihr denn nun eigentlich?

25 Jahre antifaschistische Praxis

Nazis und sonstige Rechte versuchen, ihre Strukturen aufzubauen und im öffentlichen Raum Fuß zu fassen. Sie bemühen sich, öffentliche Treffpunkte zu etablieren, zum Beispiel in Kneipen, indem sie Veranstaltungs- und Schulungsräume anmieten, oder auch Läden eröffnen, in denen sie Nazi-Klamotten und sonstige Devotionalien verkaufen. Und natürlich nicht zuletzt, indem sie öffentliche Aufmärsche durchführen.

Das AAB hat sich nun bereits seit 25 Jahren auf die Fahnen geschrieben, derartige rechte Aktivitäten zu stören und im besten Fall zu verhindern. Wir mobilisieren immer direkt zu den Nazis hin, um ihnen keinen Raum zur Entfaltung zu lassen. Ganz nach dem uralten Motto: Keinen Fußbreit den Faschisten. Ganz ernst und realistisch gemeint.

Die Liste unserer Erfolge ist lang. Einige Aktionen sollen hier vorgestellt werden, um beispielhaft unsere Herangehensweise an konkrete antifaschistische Arbeit zu verdeutlichen.

Die erste öffentliche Aktion, mit der das AAB sozusagen das Licht der Welt erblickte, war im April 1994 eine Gegenkundgebung gegen die Partei „Die Republikaner“. AktivistInnen des AAB liefen sich die Hacken ab, um in allen bekannten, irgendwie als antifaschistisch eingestuften Gruppen um Unterstützung zu werben. Am Ende waren es über 2000 Menschen, die mit einem unglaublichen ununterbrochenen Pfeifkonzert die Verbreitung von Nazi-Propaganda unmöglich machten.

Ebenfalls in den 90er Jahren betrieben die Jungen Nationaldemokraten, die Jugendorganisation der NPD, in der Pirckheimer Straße in Nürnberg ein Schulungszentrum, in dem Kameradschaftsabende und Veranstaltungen stattfanden. Unter anderem referierte dort der ehemalige Reichsjugendführer Arthur Axmann über die Hitlerjugend.

Das AAB machte den Treffpunkt öffentlich, organisierte Veranstaltungen und forderte den Vermieter auf, die Räume zu kündigen. Der war allerdings selber ein Rechter und weigerte sich zunächst. Das AAB organisierte dann ein großes Bündnis für eine Demonstration zum Schulungszentrum. Die Polizei blockierte die angemeldete Demoroute, weshalb ein paar Farbbeutel, die eigentlich für die Fassade des Schulungszentrums gedacht waren, in hohem Bogen direkt der Polizei übergeben wurden. Frei nach dem Motto: Die Polizei ist bunt und nicht braun. Nachhaltig hat das leider nicht gewirkt, wie jeder weiß. Aber das Schulungszentrum wurde dann doch aufgrund des öffentlichen Drucks geschlossen.

Auch mehrere Kneipen, die als Nazi-Treffpunkte ausgemacht wurden, konnten durch unsere Aktivitäten geschlossen werden. Das AAB schrieb Gastwirte und Brauereien an, mobilisierte AnwohnerInnen, organisierte Veranstaltungen, Kundgebungen und große Bündnisdemos. Alle diese Kampagnen waren erfolgreich.

Im Jahr 2006 wollten Nazis durch den linken und migrantisch geprägten Stadtteil Gostenhof marschieren. Die Stadt Nürnberg hatte wieder einmal zum Ignorieren der Nazis aufgerufen. Wir mobilisierten gemeinsam mit der Organisierten Autonomie (OA) zu einer Gegendemo und sprachen mit unzähligen Ladenbesitzern in Gostenhof, die fast ausnahmslos unsere Demoplakate in ihre Läden hängten. Über tausend Leute gelangten auf die Nazi-Route und blockierten den Aufmarsch über mehrere Stunden. Die Stadt ignorierte die Nazis allerdings doch nicht wie angekündigt, sondern organisierte ihnen eine Sonder-U-Bahn, mit der sie an der Blockade vorbei weggebracht wurden.

Demonstration am 31. März 2012 anlässlich der Kooperation von VS und Nazi im NSU-Komplex. Cops versperren den Weg zur Innenstadt.

Nazi-Läden, mit den schönen Namen Utgard oder Tønsberg konnten geschlossen werden. Der Protest gegen den Tønsberg-Laden dauerte über 2 Jahre bis die Betreiber aufgaben. Viele AktivistInnen, auch außerhalb des AAB, nahmen an den Protesten teil. Etliche Male wurden die Scheiben eingeworfen oder mit Farbe verziert. Die Gewerkschaft ver.di protestierte regelmäßig in ihrer Mittagspause vor dem Laden und verteilte Flugblätter. Kurz vor einer lange vorbereiteten großen Bündnisdemo gegen den Laden erfuhren wir, dass der Vermieter den Vertrag mit den Nazis gekündigt hatte. Die Demo fand trotzdem mit fast 3000 Menschen statt unter dem Motto: „Tønsberg geht – wir bleiben.“ Wieder ein riesiger Erfolg, wenn auch erst nach einer gefühlten Ewigkeit – da kannten wir Pegida noch nicht…

Pegida schlug in Nürnberg erstmals Anfang 2015 auf, damals noch unter dem Namen Nügida. Bereits im Januar hatten wir, sozusagen präventiv, gemeinsam mit der Organisierten Autonomie eine Demo gegen Pegida organisiert, kurz nach dem ersten großen Pegida-Aufmarsch in Dresden. An unserer Demo in Nürnberg nahmen an die 4000 Leute teil. Die lokale Provinzzeitung bemängelte, dass die Autonomen die Demonstration mit ihren Reden und Transparenten so sehr dominiert hätten. Wir haben unsere eigene Demo dominiert – unglaublich.

Einen Monat später kam dann Pegida tatsächlich über uns. 2500 AntifaschistInnen protestierten. Trotz massiver Polizeipräsenz und Absperrgittern gelang es uns gleich zu Beginn, auf die Route zu kommen. Dort blieben dann Hunderte AntifaschistInnen stundenlang, sodass die ca. 150 Pegidisten ihre Demo abbrechen mussten.

Pegida, AfD, der III. Weg und sonstige rechte Arschgeigen haben uns in den letzten vier Jahren in der Region ca. 80 Auftritte beschert. Manchmal mit neun, manchmal mit bis zu 250 TeilnehmerInnen. Ein Potential von mehreren tausend Rechten, wie in Dresden, gäbe es in Nürnberg sicherlich auch. Dass es bei ihren öffentlichen Aufmärschen nicht annähernd ausgeschöpft werden kann, liegt ausschließlich an den vielfältigen und direkten antifaschistischen Protesten. Der rechte Wutbürger, dem es leicht fällt, zu Hause am Computer ausländerfeindliche Hasskommentare und Morddrohungen zu verfassen, hat dann oft doch nicht die erforderliche Courage, sich auf einem Spießrutenlauf in einen Käfig aus Polizei-Absperrgittern zu begeben, ausgepfiffen und, vielleicht durch eine Tomate, am Kopf noch mehr beschädigt zu werden.

Im Zusammenhang der Flut von Nazi-Aufmärschen der letzten Jahre in Nürnberg und Umgebung möchten wir das Nürnberger Bündnis Nazistopp und das Fürther Bündnis gegen Rechts erwähnen, die mit ihren unermüdlichen Anmeldungen maßgeblichen Anteil an der lückenlosen Kontinuität antifaschistischer Proteste haben. Gemeinsam haben wir Pegida in Nürnberg und Fürth niederdemonstriert. Die Pegidisten konnten nie mehr als 150 TeilnehmerInnen mobilisieren, meistens nur um die 50. Wir waren immer ein Vielfaches. Inzwischen haben sie nach über vier Jahren regelmäßiger Auftritte seit mehreren Monaten keine Kundgebung mehr abgehalten. Mal sehen, was kommt. Wir bleiben auf jeden Fall wachsam.

Antifa-Demonstration in Fürth am 11.1.14 gegen den versuch des mittlerweile verbotenen „Freien Netz Süd“ als Tarnliste „Bürgerinitiative Soziales Fürth“ (BiSF) in´s Rathaus einzuziehen.

Die Arbeit des AAB hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es in Nürnberg keine offene Nazi-Szene gibt. Nazis gibt es natürlich auch in Nürnberg. Aber wo immer sie versuchen, sich sichtbar zusammenzurotten, bekommen sie Ärger.

Exkurs: Das AAB und der NSU

In den Kontext „25 Jahre AAB“ gehört unbedingt auch eine Stellungnahme zum NSU-Netzwerk, das in diesem Zeitraum für mindestens drei bekannte Morde und einen Bombenanschlag allein in Nürnberg verantwortlich ist.

Wir haben in den 1990ern eine Nazi-WG in der Martha Straße zum Auszug gezwungen, in der nach heutiger Kenntnis auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mehrmals übernachtet haben. Wir haben zwei Nazi-Kneipen zur Schließung gebracht, in der nach heutiger Kenntnis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe verkehrt sind. Wir haben Anfang der 2000er Jahre mehrmals gegen Nazi-Aufmärsche von Gerd Ittner demonstriert, der Ende August 2000 gemeinsam mit der NSU-Unterstützerin und Zschäpe-Freundin Mandy Struck das Flugblatt „Flächenbrand“ in Nürnberg verteilte. Darin stand: „1. September 2000 – von jetzt an wird zurückgeschossen“. Neun Tage vor dem Mord an Enver Simsek.

Selbstverständlich haben wir uns nach der Selbstenttarnung des NSU die Frage gestellt, warum wir die Morde an Migranten damals nicht mit Neonazis in Verbindung gebracht haben. Wir müssen klar sagen, dass wir das, was Polizei und Geheimdienste professionell verdeckt haben und die Presse nicht recherchieren wollte, damals auch nicht besser wussten. Im Jahr 2006 fanden in Kassel und Dortmund die heute bei vielen AntifaschistInnen bekannten Schweigemärsche unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ statt. Wir hatten damals dorthin keine Kontakte und die Berichterstattung beschränkte sich auf lokale Medien.

Wir wussten zwar, dass die Nürnberger Zeitungen vornehmlich Polizeiberichte abschreiben, anstatt kritisch zu hinterfragen, und dass die Polizei-Sondereinheit USK von Nazis durchsetzt ist. Wir wussten, dass 1996 mindestens eine Nazi-Party mit Rudolf-Heß-Transparenten und Hitlergrüßen auf dem Gelände der Nürnberger Bereitschaftspolizei stattfand. Überschrift dazu in den „Nürnberger Nachrichten“: „Nicht viel mehr als Jux und Tollerei“.

Wir waren dicht dran an den Nazis des lokalen NSU-Netzwerkes. Wir haben gegen sie demonstriert und Aktionen gemacht, aber wir haben nicht gedacht, dass der Staat in Form von Polizei, Staatsanwälten und Innenministern Morde von Nazis an Migranten vertuscht, und dass der Geheimdienst massiv die Täter beförderte, beschützte und bis heute beschützt.

Dies alles ist uns Ansporn und Verpflichtung zugleich, niemals zu vergessen und heute mehr denn je, aktiv gegen RassistInnen, FaschistInnen und Menschenverachtung einzustehen.

Was wir aus heutiger Sicht zweifelsfrei sagen können: Die Namen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe würde heute niemand kennen, wenn Beate Zschäpe nicht die NSU-Bekenner-DVD verschickt hätte. Von den Ermittlungsbehörden wäre definitiv keine Aufklärung gekommen.

Tatort Scharrerstraße. Hier wurde am 9. Juni 2005 Ismail Yasar* vom NSU ermordet.

Was wir mit Sicherheit annehmen können: Hätten wir im Jahr 2000 oder 2010 das behauptet, was heute über die Verbindung des Staates mit rechten Terrorstrukturen bekannt ist, wäre uns der Vorwurf gemacht worden, Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Was wir gelernt haben: kein gelungener faschistischer Anschlag ohne Beteiligung von Spitzeln der verschiedenen Geheimdienste.

Was daraus folgt: Dem „demokratischen“ bürgerlichen Staat müssen wir alles zutrauen, einschließlich dem Aufbau von Todesschwadronen und geheimen Mordkommandos.

Was wir allen Interessierten ans Herz legen können: die Broschüre des AAB zum NSU-Netzwerk. Sie kann über das AAB per E-Mail gegen Spende bestellt, oder kostenlos auf redside.tk heruntergeladen werden.

Die Gegenwart

Zum 25. Jubiläum des AAB starteten wir Anfang 2019 eine Kampagne gegen die reaktionäre Offensive mit vielen Veranstaltungen, einer fulminanten Party und zum Abschluss im Herbst einer Demo unter dem Motto: „Rechte Netzwerke bekämpfen – im Staat und auf der Straße – für eine linke Offensive.“ Bei der Planung der Kampagne war uns wichtig, Politik und Praxis der im AAB organisierten Gruppen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Themenpalette reichte von antifaschistischen Stadtrundgängen über Veranstaltungen zu Gesetzesverschärfungen, Sozialabbau, den Mord am Asylbewerber Oury Jalloh durch deutsche Polizisten bis hin zu Aktionen zur Solidarität mit Rojava. Der abschließende Aufruf zur Bündnis-Demo deckte dann ebenfalls ein breites Spektrum der AAB-Politik ab. Unsere Absicht war es, staatliche Faschisierung im Kapitalismus ins Visier zu nehmen: angefangen beim bayerischen Polizeiaufgabengesetz und der rassistischen Abschiebepolitik, über die entscheidende tatkräftige Unterstützung des NSU durch Verfassungsschutzbehörden bis hin zur Polizeizelle NSU 2.0 und den rechten Terror-Strukturen in KSK und SEK im Hannibal-Uniter-Netzwerk. Die Mobilisierung von weit über 2000 Menschen zu unserer Demo am 12. Oktober 2019 zeigt, dass eine Bündnispolitik auch zu radikal linken Themen ohne inhaltliche Abstriche gelingen kann.

Nochmal: Das AAB ist ein Zusammenschluss der radikalen Linken, von anarchistischen, autonomen und kommunistischen Gruppen und Einzelpersonen. Weil alle beteiligten AktivistInnen eine Aktionseinheit wollten und wollen, konnte sich eine mittlerweile jahrzehntelange Praxis entwickeln, die zu einer Strahlkraft des AAB als Ansprechpartner weit in bürgerliche Antifa-Kreise hinein führte.

Ausblick

Eine weitere Entwicklung der Gesellschaft Richtung Faschismus – imperialistische Kriege nach außen, Repression nach innen – ist absehbar. Was wir in letzter Zeit massiv zu spüren bekommen ist Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand. Es gibt viele Parallelen, aber auch große Unterschiede zu den 30er Jahren. Den wesentlichen Unterschied sehen wir darin, dass zumindest ein Teil der reaktionären kapitalistischen Eliten auf eine faschistisch-parlamentarische Option hinarbeiten. Und zwar ohne Not, das heißt trotz ausbleibender revolutionärer Organisierung, ohne kommunistisches „Gespenst“, ohne organisierte Arbeitermacht. Sie bereiten präventiv den Weg hin zu einem kompletten Instrumentarium faschistischer Politik: Sündenböcke konstruieren, mit den so genannten Ankerzentren ein deutschlandweites Lagersystem etablieren, Repressionsgesetze ausbauen, faschistische Netzwerke pampern, extralegale Paramilitärs aufbauen, Militarisierung vorantreiben, völkische Hetze publizieren, die Reichtumsverteilung weiter spreizen, Solidarsysteme privatisieren, Lohndrückerei durchsetzen, Altersarmut zementieren und und und. Wofür? Um im Hochgeschwindigkeits-ICE „Kapitalismus“ auch weiterhin auf Kosten von Mensch und Natur den maximalen Profit herauszuholen und dabei scheinbar unaufhaltsam in einen nächsten profitablen (Welt-) Krieg zu steuern. Für einen Platz an der Sonne für die Wenigen, für Tod, Armut und stinkenden Morast für alle anderen.

Der Faschismus, oder besser gesagt: Faschisten an der Macht haben sich weiterentwickelt. In Italien mit Salvinis Lega, in Ungarn mit Orbans Fidesz, in Brasilien unter Bolsonaro, und letztlich in den USA mit der Präsidentschaft von Trump. Bis jetzt wurden nirgends Wahlen verboten oder Ein-Parteien-Systeme installiert. Salvini, der sich selbst in der Tradition Mussolinis sieht, wurde von der parlamentarischen Demokratie vorübergehend ins zweite Glied, in die Opposition zurückversetzt. Vielen nimmt das den Schrecken des historischen Faschismus. Aber die Auswirkungen faschistischer Politik, wie oben angerissen, bleiben. Fürwahr zunächst einmal kein schöner Ausblick. Und trotz alledem: Antifaschistische Arbeit, für die das Nürnberger AAB beispielhaft steht, bleibt selbstverständlich sinnvoll und notwendig, denn:

Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt. / Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre. / Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es. / Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschenden. / Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut: Jetzt beginne ich erst. / Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt: / Was wir wollen, geht niemals. /
Wer noch lebt, sage nicht: niemals! / Das Sichere ist nicht sicher. / So, wie es ist, bleibt es nicht. / Wenn die Herrschenden gesprochen haben, / Werden die Beherrschten sprechen. / Wer wagt zu sagen: niemals? / An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns. / An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns. / Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich! / Wer verloren ist, kämpfe! / Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein? / Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen. / Und aus Niemals wird: Heute noch!

(Bertolt Brecht – Lob der Dialektik)

Kontakt: aabnbg@web.de

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