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Antifa-Roman

37 | Das zweite Mittwochstreffen

Ein Dutzend Schülerinnen und Schüler sind zum zweiten Treffen der „Antifaschistischen Schüler-Gruppe“ im Schulraum eingetroffen. Max, den Petra Bill Gates getauft hatte, sowie die dunkelhäutige Celeste sind unter ihnen. Außerdem die Zwillinge, wovon einer schon auf der großen Versammlung etwas gesagt hatte. Natürlich ist die Sechserbande anwesend. Auch Herr Barzel und Isabella sind gekommen.

Petra und Stefan sitzen vorne am Lehrerpult.

Dass Isabella gekommen ist, freut Marlene besonders.

Ihre Angst und Verzweiflung haben mich traurig und wütend gemacht. Egal, wo wir entlangliefen, immer hat sie ununterbrochen die Umgebung abgesucht. Nicht einmal in den Keller wollte sie alleine gehen. Nächtelang habe ich ihre Hand gehalten, während sie weinte. Und mit niemandem durfte ich darüber sprechen. Sie schämt sich noch immer in Grund und Boden.

Marlene trug die Last der Verantwortung allein und zuweilen wurde sie ihr sehr schwer.

Erst Renés Überfall auf den Hausmeister und dessen Verschwinden haben ihr wieder Mut gemacht. Auch die brennenden Fahrzeuge trugen dazu bei. Sie fühlt sich von echten Freunden unterstützt und erholt sich langsam. Neulich hat sie sogar wieder einmal gelacht.

Marlene betrachtet ihre Schwester aus dem Augenwinkel. Sie sitzt neben ihr.

„Toll, dass du gekommen bist“, flüstert sie.

„Ich will kein Opfer mehr sein“, antwortet Isabella und drückt ihr Kreuz durch. „Mir reicht es. Ich kann ja nicht mein Leben lang nur heulen. Ich muss mein Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Ich will nicht ängstlich und verzweifelt sein, nur weil es irgendwo Arschlöcher gibt, die böse sind.“

Marlene greift ihre Hand. Sie blickt Isabella liebevoll an.

„Du bist wirklich stark!“

„Außerdem will ich noch etwas“, gibt Isabella stolz zurück, „ich will mit dafür sorgen, dass solche widerlichen Typen nicht noch mehr Leben und Menschen zerstören. Ich will verhindern, dass sie junge Seelen vergiften, dass Hass und Menschenverachtung zur Selbstverständlichkeit werden!“

Stefan und Petra stellen das Gesicht der Sechserbande nach außen dar. Sie hatten besprochen, dass sie noch nicht als identifizierbare Gruppe auftreten wollen. Die anderen sitzen im Raum verteilt.

Stefan beginnt die Versammlung: „Hallo! Schön, dass ihr gekommen seid. Sollen wir uns alle mal kurz vorstellen und sagen, was wir hier wollen?“

Zustimmendes Nicken von den Anwesenden.

„Gut, dann fange ich mal an. Ich heiße Stefan, gehe in die zehnte Klasse und hasse Nazis. Ich bin schon ein paar Mal mit ihnen aneinandergeraten. Vielleicht habt ihr davon gehört. Ich will einfach gerne was gegen die Idioten unternehmen und alleine ist das eben schwer.“

Stefan schaut in die Runde und dann zu Petra. Sie nestelt an ihrem Tabaksbeutel, dreht sich Zigaretten auf Vorrat. Wer sie kennt, weiß, dass die Menge an fertig gedrehten Kippen proportional auf ihren Grad an Aufregung hinweist. Vor ihr liegt bereits ein ganzer Haufen. Scheu schaut sie in die Runde. Dann spannt reckt sie den Kopf nach oben und spricht. So, wie sie es sich vorgenommen hat. Weg mit der Angst!

„Ich heiße Petra und gehe mit Stefan in eine Klasse. Ich finde die Ideen der Nazis schlimm. Und als ich die Parolen neulich sah, war ich geschockt. So etwas will ich nicht in meinem Leben und an der Schule haben. Das darf nicht sein. Deshalb finde ich, dass man etwas tun muss.“

Sofort ergreift Max das Wort. Er sieht wieder aus wie aus einem Lehrbuch für Computer-Nerds.

Er sieht so unmöglich aus wie neulich, denkt Petra. Bill Gates hatte ich ihn getauft. Dabei war er echt cool und selbstsicher.

„Ich bin Max aus der 11. Ich hab‘ ja schon auf der Schulversammlung gesagt, dass ich auch gegen Nazis bin. Mich schrecken ihre Ansichten ab, und ich will einfach niemanden diskriminiert sehen. Wir haben Ausländer in der Schule, und die mag ich genauso wie alle anderen. Ich verstehe diesen Hass der Nazis einfach nicht. Und irgendwie will ich nicht untätig sein und nur zuschauen.“

Als Nächste spricht Celeste. „Ich stamme aus Ghana. Mich meinen die Nazis, wenn sie ‚Ausländer raus‘ sagen. Auch die, die neulich auf der Versammlung waren. Und die im Schulhof. Ich habe große Angst.“

Kurzes Schweigen.

„Auch weil die Nazis meinen Vater umgebracht haben.“

Es ist totenstill.

„Das hatte ich ja schon erzählt. Auf der Versammlung.“

Sie kämpft mit den Tränen.

Vera setzt sich zu Celeste. Sie nimmt sie in den Arm. Celeste weint.

„Sie heißt übrigens Celeste und geht in die 10b.“

Vera schaut einen der beiden Zwillinge an und gibt ihm zu verstehen, dass er weitermachen soll. Er versteht sofort.

„Mein Name ist Erkan.“

Der Junge ist auffallend kräftig und eher klein, sein Haar schimmert pechschwarz. Er ist von seinem Bruder absolut nicht zu unterscheiden. Sie tragen sogar die gleichen Klamotten: dunkle Lederjacken und dunkle Jeans.

„Neben mir sitzt mein Bruder Mehmet. Wir sind in der Klasse von Celeste. Wir hatten schon oft Ärger mit Nazis. So verbal halt. Die pöbeln uns manchmal an und beschimpfen uns. Das nervt. Deshalb wollten wir mal schauen, ob es nicht Leute gibt, die das auch voll abnervt, dass die da immer so Stress machen.“

So geht es reihum, bis Lehrer Barzel als Letzter etwas sagt.

„Ich bin Thomas Barzel und Vertrauenslehrer. Ich bürge hier als Angehöriger der Schule für euch. Sozusagen soll ich hier den Aufpasser spielen, müsste also eigentlich dem Direktor erzählen, was ihr plant, denn ihr lauft ja offiziell als Gruppe der Schule. Das mache ich aber natürlich nicht, denn als Vertrauenslehrer habe ich auch Schweigepflicht. Ich würde euch aber empfehlen, euch außerhalb der Schule zu treffen. Hier seid ihr immer vom guten Willen der Schule und des Direktors abhängig. Woanders kann euch keiner kontrollieren!“

„Ist mir doch egal, ob der Millner weiß, was wir machen! Ist doch nicht verboten, was gegen Nazis zu haben“, sagt Erkan.

„Millner hasst uns“, ruft Vera dazwischen.

„Und er hat dem Weitzel erlaubt, zwei Nazis einzustellen“, ergänzt Marc.

„Im Ernst?“

„Das kann doch nicht sein.“

Alle reden wild durcheinander.

Stefan ruft alle mit lauter Stimme zur Ruhe und erklärt: „Doch, es stimmt. Alfred Kromme und Bernd Habelmann hängen immer mit den Rechten auf dem Schulhof ab. Sie sind seit den Farbschmierereien seine Hiwis.“

„Was ist denn jetzt mit der Verlegung unseres Treffens?“, will Mehmet wissen. „Ich finde, wir sollten das machen!“

„Sollen wir abstimmen?“, fragt Stefan.

Dann meldet sich Vertrauenslehrer Thomas Barzel erneut zu Wort.

„Ja, abstimmen ist gut. Aber eine Info noch: Wenn ihr euch in der Schule trefft, dann dürft ihr eigentlich auch keine Schulfremden aufnehmen, d. h., nur Leute aus der Schule dürften hier mitmachen. Aber das Naziproblem macht ja vor dem Schulhof nicht Halt, das ist ja kein ausschließliches Problem dieser Schule. Und vielleicht wollt ihr euch ja mal vergrößern, mit Leuten von außerhalb der Schule. Das ginge dann hier nicht. Und noch was. Direktor Millner könnte natürlich das Treffen auch ganz untersagen. Oder er könnte auch teilnehmen wollen. Oder fordern, dass ihr eine Liste aller Teilnehmenden erstellt. Und die bekäme dann eventuell auch Alfred Kromme oder Bernd Habelmann in die Finger. Das nur mal so als ergänzende Information vor der Abstimmung.“

Die Anwesenden verstehen. Die Abstimmung spricht sich eindeutig für einen Ortswechsel aus.

„Aber wo sollen wir uns denn treffen?“, fragt Petra resigniert. Deutlich ist schon wieder ihr typischer Frust zu bemerken. „Solche wie uns will doch keiner haben.“

Vera rollt die Augen. Petras Ton nervt sie.

„Die stellt sich doch schon wieder darauf ein, dass alles umsonst war“, flüstert sie verärgert Marc zu. „Mit ihrer aktiv zur Schau getragenen Depression zieht sie noch alle mit runter.“

„Komm, lass sie. Du kennst sie doch“, gibt Marc beruhigend zurück. Er will seinen Arm um sie legen, doch sie rückt von ihm weg. In solchen Momenten mag sie Marc gar nicht.

„Die nervt mich einfach nur noch. Kann die nicht mal einfach gute Laune haben?“, zischt Vera ihm wütend zu.

„Wir haben ein Vereinsheim, da, wo wir Fußball spielen, bei den blaugelben Lilien. Da sind abends und nachmittags immer ein paar Räume frei. Dort könnte ich mal nachfragen“, schlägt Mehmet vor.

„Das klappt sicher! Gute Idee“, sagt Erkan. „Der Leiter ist auch ein Antifaschist. Türke wie wir. Der hat sich früher mit den Grauen Wölfen geprügelt. Der findet das bestimmt gut.“

„Was sind denn ‚Graue Wölfe‘?“, will Max wissen.

„Türkische Nazis“, antwortet Erkan.

„Türkische Nazis? Wie geht das denn?“, fragen nun auch andere.

„Naja, es sind eben Faschisten, die gegen Kommunisten und Sozialisten sind und z. B. gegen die Kurden. Sie sind in der Türkei gegen Zuwanderer aus anderen Ländern, genau wie hier. Nur halten sie natürlich das Türkentum hoch, fühlen sich anderen Völkern überlegen und streben ein osmanisches Großreich an“, antwortet Erkan. „Die arbeiten eng mit diesen Irren von dem IS zusammen. Ist ja auch kein großer Unterschied.“

„IS?“

„Islamischer Staat.“

„Ach so!“

„Deutsche Nazis sind gegen Türken und Ausländer. Und Türken können trotzdem Nazis sein? Das verstehe ich nicht“, sagt ein Mädchen mit roten Haaren.

„Faschisten wollen keine Fremden im eigenen Land. Sie wollen Nationen und Völker trennen. Das ist ihre Ideologie. Sie sagen, manche Völker sind mehr wert als andere. Deshalb sagen deutsche Faschisten: ‚Ausländer raus. Deutschland den Deutschen.‘ Sie meinen damit auch Türken, aber keine Luxemburger. Und türkische Faschisten sagen: ‚Ausländer raus. Die Türkei den Türken.‘ Das richtet sich dann vor allem gegen Asiaten oder Schwarzafrikaner und nicht gegen Deutsche. Irrationaler Nationalismus ist ein Wesensmerkmal des Faschismus“, erklärt Erkan weiter.

„Das ist aber kompliziert. Woher weißt du denn das alles?“, will Max wissen.

„Ein Onkel von uns ist von den Grauen Wölfen in den 70er Jahren entführt und gefoltert worden. Deshalb musste unsere ganze Familie nach Deutschland fliehen. Faschisten machen vor Angehörigen nicht halt. Unser Vater ist außerdem in der Gewerkschaft aktiv. Er hat uns früh über Politik aufgeklärt“, antwortet Mehmet stolz.

„Sollen wir mal weiter über das Treffen sprechen?“, unterbricht Stefan das Gespräch. „Was haltet ihr denn davon, sich bei den Lilien im Vereinsheim zu treffen?“

Alle sind dafür.

„Jetzt sollten wir auch mal überlegen, was wir machen wollen“, schlägt Elena vor.

„Gute Idee“, sagt Marlene. „Mir fällt bei der Diskussion auf, dass ich von Nazis und Faschismus wenig Ahnung habe. Vielleicht sollten wir uns fortbilden.“

„Ja, aber ich will auch konkret was tun“, sagt Vera ungeduldig.

„Ich auch“, stimmt Isabella ihr zu.

Das war deutlich, denkt Marlene und ist froh, ihre Schwester wieder entschlossener zu erleben.

„Wie wäre es mit einem Flugblatt?“, regt Max an.

„Und was soll da drinstehen?“ Petra bremst mit ihrer Frage die positive Aufbruchsstimmung gnadenlos aus. Ihr ansteckender Pessimismus schwappt in die Runde.

Alle schweigen.

Danke Petra.

„Ich weiß, dass am Samstag eine Veranstaltung zum Thema „Nationalsozialismus in Wiesbaden“ stattfindet. Sollen wir da nicht zusammen hingehen und dann nächsten Mittwoch darüber reden?“, schlägt Marc vor.

„Treffen wir uns denn nun immer regelmäßig oder wie?“, fragt Petra. Ihr Ton ist negativ und ätzend.

Lehrer Barzel greift ein. „Tolle Idee. Am Samstag würde ich euch auch gerne begleiten, das können wir dann als Schulveranstaltung laufen lassen. Ansonsten gibt es ja schon weitere Vorschläge: Treffen ins Vereinsheim verlegen und ein Flugblatt schreiben. Eine ganze Menge! Zu der Frage, ob ihr euch regelmäßig treffen solltet, würde ich vorschlagen, das zu tun. So kann man besser zusammenarbeiten und lernt sich auch besser kennen. Ich würde mich dann ausklinken, wäre aber jederzeit ansprechbar, wenn ihr das wollt! Aber dann nicht mehr als Lehrer, sondern privat. Immerhin habe ich auch noch ein paar Kontakte.“

Es folgen noch ein paar Wortmeldungen. Schließlich gehen alle sehr motiviert nach Hause.

Die Sechserbande ist gut gelaunt, als sie sich später noch kurz bei Vera trifft. Die Smartphones legen sie bei jedem Treffen unten in Annettes Schneiderei in den Kühlschrank. Dort hat sie extra eine große Tupperbox mit Aluminiumfolie ausgekleidet. Zwei Schichten Alufolie und die Kühlschrankwände aus Metall sollten als Abschirmung reichen.

Alle sind gut gelaunt, nur Petra schaut griesgrämig. Doch niemand kümmert sich um sie.

„Wisst ihr, was mich stolz und glücklich macht?“, fragt Vera in die Runde.

Fragend schauen die anderen sie an.

„Dass Isabella da war. Und dass sie irgendwie zufrieden aussah. Zufriedener als die ganze Zeit.“

„Isabella hat eine harte Zeit hinter sich. Könnt ihr euch ja denken“, sagt Marlene. „Sie hat noch immer Panikattacken. Die kommen unkontrolliert wie Flashbacks. Aber dass Freunde sie gerächt haben, dass wir Kopf und Kragen riskiert haben, das hat ihr wirklich Kraft gegeben, und hat ihr sehr geholfen. Und wisst ihr was? Ich bin auch stolz auf uns!“

„Ja“, sagt Marc, „das können wir auch sein! Jetzt sind wir erst so kurz die Sechserbande und haben schon mehr erlebt als unsere Eltern alle zusammen!“

„Außer meiner Mutter vielleicht“, sagt Vera und lacht.

Die Übrigen lassen sich anstecken. Sie fühlen sich wie eine verschworene Gemeinschaft.

Als Max sich an diesem Abend an den Computer setzt, fühlt er sich irgendwie anders als sonst. Er hat seit dem Treffen von heute Abend den Eindruck, dass sein mühevoll zusammengesammelter Schatz nun doch irgendwann einmal irgendjemand zu schätzen weiß.

Er klickt auf die verschlüsselte Partition auf seinem PC und gibt das ellenlange Passwort mit Sonderzeichen und Zahlen ein. Innerhalb dieser Partition befindet sich eine weitere codierte Partition und erst darin mehrere Dateien, ebenfalls mit Passwörtern gesichert. Bevor Max die Dateien öffnet, zieht er das Kabel zum Internet heraus. Er will sicher gehen, dass ihm keiner auf die Schliche kommt. WLAN hat sein PC nicht.

Die nun geöffneten Dateien sind seitenlange Listen. Sie beinhalten Namen, Adressen und Log-Dateien: „Mitgliederdatei der NPD Wiesbaden“, „Spender der AfD Wiesbaden“, „Bestellungen bei Thor Steinar – PLZ 65…“ und „Forum Widerstand – Alle Nutzer“.

Das ist mein Daten-Schatz. Doch die Namen sind sinnlos für mich allein. Ich muss sie jemanden geben, der damit was anfangen kann. Ich glaube, ich weiß nun auch, wem ich sie anvertrauen kann. Den Leuten vom Treffen heute. Die sind cool. Klar, nicht alle sind voll cool, aber Stefan, der ist richtig klasse. Wie der damals auf die Nazis losgehen wollte im Schulhof, das hat mir gefallen! Ich glaube, der weiß, was man mit meinem Schatz machen kann. Ich hoffe es zumindest.

Nächtelang ist Max unter Pseudonym und über anonymisierende Server durch das Internet gehuscht, hat mit Nazis gechattet und sich Tipps geben lassen. Er ist auf einschlägigen Seiten spazieren gegangen und hat Code um Code, Passwort um Passwort ausprobiert, Trojaner abgesetzt und offene Ports gesucht. Wie ein Virtuose tänzelte er über seine Tastatur und erschnüffelte Systemschwäche.

Schritt für Schritt gelang es mir, die verschlossenen Türen aufzustoßen, Einzelteile zusammenzusetzen und Sicherungsmechanismen zu umgehen. Viele Nächte rannte ich mir an Firewalls den Kopf ein. Doch manchmal kam ich durch. Da sind sie nun, die Früchte meiner Geduld. Listen. Hunderte von Neonazis mit Namen und Adressen. Zahllose Irre, gefährlich und bereit, Menschen zu verstümmeln und zu töten.

Er scrollt in den Listen herum.

Wir müssen diese braunen Zombies stoppen! Hinter jedem Namen steckt ein potenzieller Nazimörder! Aber hinter jedem Namen steckt auch ein Mensch aus Fleisch und Blut, gegen den man sich wehren kann, den man stoppen oder vielleicht sogar überzeugen kann! Auch Nazi-Zombies sind schon aus diesem Scheiß ausgestiegen!

Max hat die Namenskolonnen auf dem Bildschirm schon x-mal angesehen, bisher konnte er damit nichts anfangen. Doch jetzt fühlt er, dass sich das ändern wird. Der Siebzehnjährige schließt die Dateien, verschlüsselt sie wieder und reinigt seinen PC mit einem Cleaning-Programm. Er will keinerlei Spuren auf seinem Computer hinterlassen. Erst als er alle Dateireste auf der Festplatte und in den Zwischenspeichern zuverlässig gelöscht hat, startet er den Computer neu und schließt ihn wieder ans Netz an.

Er surft noch eine Weile, bevor er zufrieden ins Bett geht. Vor dem Einschlafen greift er nach dem Bild auf seinem Nachtisch. Es zeigt seine Großmutter. Max hat sie geliebt. Er war dabei, als sie 2020 starb. Er hielt ihre Hand. Seine Großmutter hat das KZ Buchenwald überlebt. Sie war 12 Jahre alt, als das Lager von den Insassen befreit werden konnte. Von ihrer Familie hat sie niemanden wiedergesehen. Ihre Eltern wurden in Auschwitz vergast. Ihr Bruder starb während der Zwangsarbeit in den unterirdischen Werken des KZ Mittelbau-Dora, und ihre Zwillingsschwester wurde bei Menschenversuchen in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Sie hat mir erzählt, zu was Menschen fähig sind. Folter und Mord einerseits, aber auch Solidarität und Brüderlichkeit andererseits. Beides hatte sie erlebt. Ich weiß noch, wie sich mich auf dem Sterbebett bat: „Max, vergiss nie, was Nazis sind: Mörder ohne Gewissen!“

Als Fünfzehnjähriger hatte er ihr versprochen alles zu tun, damit die braunen Schlächter nie wieder zum Zug kommen. Er hat nun das Gefühl, als könnte er sein Versprechen erfüllen.