Kategorien
Antifa-Roman

46 | Outing

Als sich die Schul-Antifa diesmal am Mittwoch trifft, wirken alle ganz schön gestresst. Neben der Schule waren alle wegen des Nazi-Aufmarschs unterwegs.

Elena, Petra, Max, Erkan, Isabella und Rainer besuchten das große Treffen von allen Gruppen, die etwas gegen den Naziaufmarsch unternehmen wollen, im Infoladen. Dort begegneten sie auch Vertrauenslehrer Barzel, seinen Kumpel Edgar Harms und Annette.

Marlene, Celeste, Mehmet und Vera nahmen Kontakt zu Gruppen aus dem Stadtteil auf. Sie trafen die Pfadfinder, suchten Kneipen auf und sprachen mit Anwohnern.

Mîrhat und Marc planten still und leise den Hinterhalt.

Nur Stefan war wie abgetaucht. Er beteiligte sich an keiner der Aktivitäten.

Zuerst erzählen Elena und Max von dem großen Treffen. Anwesend waren ca. 60 Interessierte aus allen möglichen politischen Spektren. Der Abend verlief ziemlich chaotisch. Das Ergebnis ist überschaubar. „Geplant ist bisher eine Demo gegen den Aufmarsch“, sagt Elena. „Die Idee der Blockaden wurde kontrovers diskutiert, aber ein paar Antifas und radikaler wirkende Leute sprachen sich dafür aus. Mit denen haben Petra und ich danach noch ein paar Worte gewechselt und Kontaktdaten ausgetauscht. Edgar, Barzel und ein paar andere Alte waren ebenfalls für Sitzblockaden.“

Max ergänzt: „Mit uns und ein paar von der Schule wären wir rund 100 Leute für die Blockaden. Damit kann man bestimmt was machen, oder?“ Ihm gefallen die Anstrengungen gegen den Aufmarsch. Irgendeine innere Triebfeder spornt ihn an. Der Computernerd ist wie ausgewechselt.

Marlene berichtet von ihrem Rundgang im Westend-Viertel. Das war allerdings eher enttäuschend. „Den normalen Menschen ist es völlig egal, ob die Nazis marschieren oder nicht. Einzig die Pfadfinder interessierten sich für unseren Besuch“, erzählt sie. „Die wollen auch auf die Demo gehen oder ein Transparent an ihr Haus hängen. Angst hat scheinbar niemand. Die Türken vertrauen der Polizei oder auf ihre eigenen Kräfte. Die nehmen alle die Nazis gar nicht ernst.“

Dann ist Marc an der Reihe. Er holt tief Luft.

„Was ich euch jetzt sage, darf niemand außer uns erfahren! Versprecht ihr das?“

Alle nicken.

„Traut ihr euch wirklich zu, den Mund zu halten? Egal wo und egal bei wem?“

„Marc, übertreib es nicht“, herrscht Marlene ihn an.

„Ich will es von jedem Einzelnen wissen!“

Augenrollend versprechen sie es.

„Ist kein Smartphone im Raum?“

„Keiner hat ein Handy mit. Haben wir doch so vereinbart“, sagt Erkan genervt. „Hat sich ja wohl auch jeder dran gehalten, oder?“

„Jaja, leg los Mann.“

Marc beginnt ganz sachlich und ruhig. Er erzählt von dem geplanten Angriff der Nazis auf die Jugendlichen. Als er endet, herrscht Totenstille im Raum.

„Ach du Scheiße“, sagt Max.

„Ich hau ab“, ist Celestes erste Reaktion.

„Ich komme mit!“, schreit Petra.

„Quatsch, wir erwarten die hier!“, sagt Mehmet. „Die sollen nur kommen. Wir kennen genug Leute!“

„So was Ähnliches ist schon in Planung“, sagt Marc. „Versprecht ihr alle, den Mund zu halten?“

„Marc, du nervst.“ Vera stupst ihn an. „Das reicht!“

„Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“

Er erzählt in groben Zügen, was Mîrhat und er gerade austüfteln, nennt aber noch keine Details.

Je weniger alle wissen, desto sicherer ist es für die Beteiligten.

Angst und Anspannung sind im Raum des Vereinsheims förmlich zu greifen. Als Marc fertig ist, spricht Petra als Erste. Ihre Stimme überschlägt sich vor Panik.

„Seid ihr wahnsinnig? Wir sollen hier drin so tun, als ob nichts wäre, während sich vor der Tür Nazis sammeln, die uns zusammenschlagen wollen? Ich drehe durch. Ich habe schon jetzt totale Panik, nur bei dem Gedanken. Lasst uns lieber die Polizei informieren. Bitte!!! Nur dieses eine Mal!“

„Ganz ruhig Petra“, sagt Marc. „Ich kenne die Männer. Das sind Kämpfer. Da können sich die Nazis mal schön hinten anstellen.“

„Marc, du bist ein ganz schöner Angeber.“ Diesmal ist es Marlene. „Du tust so, als hättest du schon zahllose Aktionen dieser Art durchgezogen.“

Elena nickt zustimmend. „Da hat sie recht. Du bist gerade ein echter Gernegroß.“

Petra bekommt ihre Angst nicht in den Griff. „Wir sitzen doch in dem Heim wie die Ratten in der Falle. Wenn irgendwas draußen schief geht, sind wir alle fällig!“ Sie schreit jetzt. „Wir werden alle sterben!“

„Jetzt beruhige dich doch, Petra.“ Vera legt ihr die Hand auf die Schulter. „Vertrau doch einfach!“

„Ich soll irgendwelchen Typen trauen, die ich noch nie gesehen habe? Seid ihr bescheuert? Wenn ihr‘s nicht macht, dann mach‘ ich‘s allein. Ich geh‘ zur Polizei. Ihr spinnt doch alle!“

Wütend schaut sie auf Vera.

„Und du machst das doch nur mit, weil du verknallt bist. Du checkst doch gar nichts mehr.“

Vera hätte ihr am liebsten ein gescheuert. „Petra, langsam reicht es mir mit dir!“

Dann spricht Max. Seine Stimme ist völlig ruhig. „Ich finde die Idee gut.“

„Was?“, fragt Marlene. „Wieso das denn? Kennst du die Leute?“

„Nö, aber wir haben doch eh keine Chance.“

„Wie meinst du das?“

„Die wollen uns verletzen, die Nazis. Das ist ihr Ziel. Wenn sie es heute nicht tun, tun sie es morgen. Uns zu wehren, ist unsere einzige Option.“

Alle schauen ihn schweigend an. Seine Logik ist einfach, aber bestechend.

„Vielleicht hat Max recht“, sagt Celeste fast flüsternd. „Aber hier sein kann ich nicht!“

„Ich finde das auch“, stimmt Mehmet zu. „Unsere Leute und die von Marc, das wird klappen.“

„Tickt ihr denn alle noch richtig?“ Petra kreischt.

„Bleib doch einfach zu Hause“, schlägt Elena vor.

„Was?“

„Ich glaube, Max hat recht. Wir haben keine Wahl.“

„Nein. Nein. Nein. Das ist Wahnsinn.“

„Vielleicht. Aber es ist auch eine Chance.“

„Eine Chance auf den Tod vielleicht, ihr Irren. Merkt ihr das nicht?“

„Petra, bleib doch einfach daheim. Hat doch Marc auch schon gesagt“, sagt Elena. „Wer das psychisch nicht aushält, bleibt an dem Tag einfach weg.“

Ein kurzes Schweigen. Alle Augen sind auf Petra gerichtet.

„Okay“, ruft sie. „Dann bin ich raus. Ich komme an dem Tag nicht.“

„Und ihr anderen?“, fragt Marc. „Vertraut ihr mir?“

„Ich vertraue dir, aber ich kann auch nicht kommen“, flüstert Celeste. „Das schaffe ich nicht.“

„Kann ich gut verstehen“, sagt Max. „Das würde ich an deiner Stelle auch nicht aushalten.“

Sonst will niemand wegbleiben.

„Dann ist es besser, wenn ihr jetzt geht“, wendet sich Marc an Petra und Celeste.

„Marc, jetzt reicht es aber“, schimpft Elena.

„Nein, Marc hat recht“, mischt sich Erkan ein. „Es ist sicherer, wenn niemand außer uns die Details kennt. Dann kann auch niemand was aus Versehen ausplaudern.“

„Das hat nichts mit euch persönlich zu tun. Es ist einfach besser. Auch für euch. Ohne das Wissen seid ihr bestimmt entspannter, glaube ich.“

„Vielleicht hast du recht“, sagt Petra, packt ihre Sache und steht auf. Eine Kippe hat sie schon im Mund. „Ich wünsche euch alles Gute. Wir sehen uns alle nach der Geschichte! Sorry, tut mir echt leid, aber ich halte das nicht aus.“

Auch Celeste erhebt sich. „Ich drück euch auch die Daumen!“ Bevor sie die Tür erreicht, sagt sie: „Ich bin sehr glücklich, dass ihr tut, was ihr tut.“

Vera zwinkert ihr zu.

Du bist ein starkes Mädchen!

Sie steht auf und gibt Petra ihren Wohnungsschlüssel. „Warte bei mir. Wir sehen uns später. Okay?!“

Petra nickt. Die Mädchen treten durch die Tür.

Noch einmal dreht Celeste sich um.

„Dabei hätte ich so gerne erlebt, wie die Arschlöcher fertiggemacht werden.“

„Ich beschreibe dir später alle Details“ ruft ihr Isabella zu. „Das ist auch der einzige Grund, warum ich trotz meiner Angst nicht gehe: Es ist meine Wut. Ich will sie leiden sehen.

Celeste schließt die Tür hinter sich.

Danach beginnt die Diskussion im Vereinsheim erst richtig. Es dauert noch eine ganze Weile, bis alle Verhaltensweisen und Einzelheiten für den Tag des Hinterhalts besprochen sind. Bevor alle nach Hause gehen, schwört Marc die Schüler-Antifa noch einmal auf absolute Verschwiegenheit ein.

„Damit steht und fällt unser Erfolg. Deshalb: Mund halten! Keine Anspielungen! Keine Witze! Es geht um unser aller Gesundheit. Vielleicht sogar um unser Leben! Und nichts über Handy und Internet! Bitte!!!“

Dann trennt sich die Mittwochsgruppe.

Die sechs treffen sich danach wie immer bei Vera. Es ist spät. Petra hat Pfefferminztee für alle gemacht.

„Draußen ist es schon ganz schön kalt“, sagt Vera zu Marc.

Er strahlt sie an. Er weiß, was sie will. Er küsst sie und flüstert: „Die ganze Nacht lasse ich dich nicht mehr los!“. Dann wendet er sich an den Rest der Gruppe.

„Was benötigt wird, besorgen die Freunde von Mîrhat. Unsere Arbeit beginnt danach. Da bist du doch auch wieder mit im Boot, oder?“

„Ich weiß ja nicht mal, um was es geht“, antwortet Petra.

„Propaganda, Internet, echte Arbeit.“

„Aber das macht doch alles nur noch schlimmer!“ Petra ist schon wieder den Tränen nah. Der Aschenbecher vor ihr quillt fast über.

„Jetzt beruhige dich doch mal.“ Vera legt ihr zärtlich die Hand auf den Arm.

„Was da alles passieren kann. Und was die danach mit uns machen.“ Petra laufen die Tränen über die Wangen. Ihre Worte sind nur noch Schluchzen.

„Danach?“, fragt Stefan wütend. „Was wir machen, ist die Antwort auf das, was die machen wollen. Würden wir nicht vorgreifen, dann würden wir da in unserem Blut liegen. Ist dir das eigentlich klar?“

„Stefan, hör auf“, bittet Marlene.

„Aber er hat doch Recht“ unterstützt Marc seinen Freund.

„Ja, aber das hilft Petra gerade nicht!“, widerspricht Marlene genervt.

„Ja und? Was hilft ihr denn?“ Elena schaut Petra erwartungsvoll an.

Die zuckt mit den Schultern.

„Immer nur rumheulen hilft jedenfalls auch nicht.“

„Hör jetzt auf Stefan, es reicht.“

„Mir reicht es auch gleich. Ich würde seit Wochen schon im Krankenhaus liegen und die kommt uns immer nur mit ihrer scheiß Angst.“

„Was soll ich denn machen?“

„Reiß dich vielleicht einfach mal zusammen!“

„Stefan, das kannst du vielleicht, aber Petra nicht“, wirft Marlene ein. „Angst lässt sich nicht einfach abschalten.“

„Mich nervt das auch tierisch“, sagt Elena. „Petra ist immer nur gegen alles.“

„Dann schmeißt mich doch endlich raus.“

„Darum geht es doch gar nicht“, sagt Marlene.

„Vielleicht doch“, antwortet Stefan.

„Okay. Okay“, grätscht Marc dazwischen. „Schluss jetzt. Wie wäre es mit einem Break?“

Als er Stefans sauren Gesichtsausdruck sieht, schüttelt er nur ganz leicht den Kopf. Lass es jetzt.

Stefan versteht und schweigt.

„Möchte noch jemand Tee? Ich gehe in die Küche und mache noch einen“, sagt Marc.

„Ich komme mit. Das bringt mich vielleicht wieder runter.“

Marc lächelt seinen Freund an.

Während sie in der Küche hantieren, beruhigen die anderen Petra. Langsam fängt sie sich wieder. Als die dampfenden Tassen auf dem Tisch im Wohnzimmer stehen, zieht ein wohliger Duft von Vanille durch den Raum.

Ich würde jetzt lieber mit Marc kuscheln, denkt Vera. Doch er unterbricht ihren romantischen Traum jäh, als er sagt: „So, können wir jetzt wieder alle normal reden?“

„Oha“, sagt Marlene, „was kommt denn jetzt?“

Er wendet sich an Stefan.

„Jetzt will ich mal wissen, was mit dir los ist. Du hast heute kaum was gesagt. Außerdem habe ich mich schon gefragt, was du die ganze Zeit so gemacht hast. Du beteiligst dich an nichts hier. Warst du vielleicht mal spontan in Kur oder in geistiger Emigration oder so was? Mir gefällt das nicht, dass ich dich nicht mehr aktiv sehe! Bist du überhaupt noch dabei?“

Stefan schaut, als ob er auf diesen Moment gewartet hat.

„Ja, stimmt. Ich möchte mit euch gerne über Outing sprechen.“

„Outing? Willst du uns nun mitteilen, dass du schwul geworden bist?“, frotzelt Marc. „Ich kenne da eine Bar, wo du hingehen könntest … !“

Stefan wirft ihm nur einen zweideutigen Blick zu. Vera sieht ihn böse an.

„Sehr witzig, Herr Brenda“, sagt sie.

„Okay, tut mir leid“, antwortet Marc.

„Ich finde, Marc hat recht“, sagt Elena. „Also, was ist los? Interessieren dich die Nazis und ihr Aufmarsch nicht mehr?“

Stefan schaut sie vorwurfsvoll an. „Meint ihr, ich habe die ganze Zeit gechillt oder was?“

„Naja, bei irgendwelchen Treffen warst du jedenfalls nicht“, stellt Vera sachlich fest. „Da hat Marc schon Recht.“

Stefan beschließt, die Angriffe zu ignorieren. „Was ich euch jetzt sage, ist genauso vertraulich wie das, was sonst hier gesprochen wurde und wird. Von dem was ich euch erzählen will, weiß bisher nur eine Person. Ich will sie mal X nennen. X hat mir endlose Listen mit Nazinamen in die Hand gedrückt. Es sind Dateien mit Mitgliederlisten der NPD, Besteller von Nazi-Klamotten und Forenbeiträge mit Klarnamen. Ich habe in den letzten Tagen die Namen hier aus der Gegend rausgefiltert und sie mit den Einträgen in dem Büchlein verglichen, das mir dieser verletzte Wollner gegeben hat. Einige Namen, Adressen, Mitgliedschaften und Funktionen stimmen überein. Bei ein paar Adressen bin ich mal vorbeigefahren, sie waren korrekt.“

„Die Listen hast du bestimmt von Max“ sagt Petra. „Das hat uns gerade noch gefehlt, so ein Scheiß!“

„Schnauze Petra“, pfeift Vera sie an.

„Und weiter?“, fragt Elena ungeduldig. „Willst du ein Buch schreiben oder was?“

„Ja, warum erzählst du uns das?“ Vera ist genervt. „Was hat das mit dem Aufmarsch zu tun? Du spielst am PC den Detektiv und wir laufen uns draußen die Hacken ab.“

Marlene ergänzt: „Ja, wir reden uns den Mund fusselig, während der Herr Ausflüge zu Nazis unternimmt.“ Sie wirkt angriffslustig.

„Hallo“, unterbricht Marc. „Was soll das denn jetzt?“

„Ist das jetzt dein tolles Outing, Stefan?“, fragt Marlene angesäuert. „Dass du jetzt Computerfreak bist?“

„Jetzt lasst ihn doch mal“, fordert Marc. „Ich hatte nicht den Eindruck, als wär‘ er schon fertig.“

„Danke, mein Freund. Nein, ich war noch nicht fertig.“ Stefan wirft den Mädels einen bösen Blick zu. „Ich habe mir durchaus was bei meinen Recherchen gedacht. Die braunen Arschlöcher leben da völlig unbehelligt.“

Stefan packt einen Stadtplan von Wiesbaden aus und legt ihn auf den Tisch. Er ist übersät mit Punkten. An manchen Orten liegen mehrere Punkte nah beieinander.

„Seht ihr, das ist die Hochhaussiedlung in Biebrich, wo die Karren gebrannt haben. Da sind viele Punkte. Da wohnen viele Nazis. Hier auch.“

Stefans Finger zeigt auf das Viertel Wiesbaden-Gräselberg.

„Ein paar wohnen vereinzelt, sie sind über die ganze Stadt verteilt. Ich finde, wir sollten sie outen! Wir sollten allen in der Umgebung sagen, dass der und der Nazi ist. Alle sollen es wissen: die Nachbarn, der Kioskbesitzer, die Kellner und die Briefträger. Alle sollen wissen: Der Soundso ist eine Nazisau. Vielleicht macht ihnen das Angst. Oder sie bekommen Druck von ihrem Umfeld. Auch ihre Arbeits- oder Ausbildungsstätten sollten wir informieren, vielleicht per Brief.“ Er schweigt kurz und schaut in die Runde. „So, das war jetzt meine Idee!“

„Und wie? Im Internet?“ Petras Stimme vibriert schon wieder deutlich. Ihr ist das alles nicht geheuer.

„Nein“, antwortet Stefan ruhig, „mit Plakaten.“

„Und parallel posten wir die Fotos im Internet!“ Vera ist begeistert.

Petra gefällt das allerdings gar nicht. „Und wer soll das alles machen?“

„Na wir!“, antwortet Marc. „Die Schul-Antifa. Wer sonst?“

„Das Plakat könnte Rainer layouten“, sagt Stefan.

„Hast du ihn etwa schon gefragt?“ Petras Stimme ist wieder am Rande der Hysterie.

„Ja, aber nur so allgemein“, antwortet Stefan ausweichend.

„Und wo bekommen wir die Fotos her?“, will Marlene wissen.

„Ein paar sind in den Dateien enthalten. Einige findet man bei Facebook, Insta oder irgendwo sonst im Internet“, erklärt Stefan. „Etwa 80 % der Bilder hätten wir jetzt schon.“

„Vielleicht haben die Antifas noch welche“, schlägt Elena vor. „Die machen doch immer Fotos. Oder was denkst du Petra? Du hast die doch auch mitbekommen auf dem Treffen. Was für einen Eindruck hattest du denn von denen?“

Petra ringt mit sich. Sie greift nach einer Zigarette. „Naja, die wirkten irgendwie arrogant. Aber irgendwie auch in Ordnung. Schien so, als ob die wüssten, was man so mit Nazis macht. Die schienen erfahren mit Nazis. Aber ich ruf die nicht an!“

„Okay. Kann ich ja machen …“ Petra geht Elena langsam auf den Wecker.

„Was haltet ihr denn überhaupt von der Idee? So allgemein?“, will Marc wissen. „Ich finde sie spitze!“

„Ich auch“, sagt Marlene. „Das ganze könnte wie ein Fahndungsplakat aussehen.“

„Und es sollten Hinweise auf den Aufmarsch drauf“, ergänzt Elena, „dann mobilisiert das vielleicht sogar noch.“

„Und wer soll das dann kleben? Also wer soll die Plakate aufhängen?“, fragt Petra und hofft darauf, dass sich niemand zum Plakatieren findet.

„Das muss die gesamte Schüler-Antifa machen“, antwortet Stefan. „Hat Marc doch schon gesagt. Das könnte uns doch ganz gut zusammenschweißen. Und wir wüssten schnell, wer wie drauf ist.“

„Das wäre eine Art Generalprobe.“

„Erkan und Mehmet machen bestimmt mit. Celeste sollte nicht mitmachen. Wenn die erwischt wird, wird die doch sofort abgeschoben“, sagt Vera.

„Isabella ist auch dabei. Aber brauchen wir nicht vielleicht auch einen Schutz?“, fragt Marlene. „Ich meine, wenn zwei das Plakat ankleben, sollte doch mindestens einer die Umgebung im Auge haben und zur Not eingreifen können. So wie wir das beim Malen an der Schule gemacht haben, oder? Ich meine, es könnte auch plötzlich mal ein Nazi vorbeikommen, oder nicht?“

Die anderen schließen sich Marlene an.

Die Diskussion ist bestimmt von der Lust, etwas praktisch tun zu wollen. Nicht einmal Petra grätscht dazwischen. Aber sie hält sich auffallend zurück.

Nach einiger Zeit steht der Plan. Sie wollen mindestens fünf Gruppen bilden, um die Orte in Wiesbaden abzudecken, wo viele Neonazis auf einem Haufen wohnen. Das Plakatieren soll zeitlich parallel stattfinden. Jede Gruppe soll aus mindestens drei Personen bestehen, wobei mindestens eine Person schlagkräftig sein muss. Die Trupps sind zu Fuß unterwegs, Fahrräder sind wegen des Kleisters unpraktisch. Der wird in großen Tüten transportiert. Die türkischen Zwillinge kennen sich damit gut aus, sie haben schon des Öfteren Plakate für den Fußballverein geklebt. „Zwei stabile Tüten übereinander sind am besten“, erläutert Erkan. „Darin befinden sich Kleister und Pinsel.“ Die Handschuhe kommen in eine Extra-Tüte, worin auch die 20 bis 30 Plakate stecken. „Mehr schafft man eh nicht in einer Stunde.“

Alle müssen zeitgleich starten. Nach getaner Arbeit melden sich die Dreiergruppen per Handy bei einer zentralen Person zurück und geben Entwarnung. Es ist wieder Petra, die gerne den risikolosen Part der Aktionszentrale auf einem Sofa übernimmt. Ausgerüstet mit Tablet und Smartphone können die Gruppen über verschiedene Kanäle banale Infos senden. Stefan übernimmt die Aktivierung falscher E-Mail-Adressen und richtet Telegram und Signal ein.

Petras konstruktives Verhalten macht Marc misstrauisch. Er beobachtet sie genau. Als der Ablauf steht, zündet sie sich eine Zigarette an und sagt überheblich: „Schade nur, dass wir das alles nicht finanzieren können. Daran hast du wohl nicht gedacht, Stefan.“ Marc hat es geahnt. Die blöde Kuh hat sich das von Anfang an überlegt, dass die Sache gar nicht machbar ist. Er könnte ihr an die Gurgel springen.

Stefan schaut peinlich berührt zu Boden. Bevor Marc reagieren kann, sagt er: „Das stimmt. Ich habe daran gedacht, aber keine Lösung gefunden. Wir müssen wohl zusammenlegen.“

Marlene raunzt ihn an: „So viel Geld haben wir nicht. Das weißt du. Wir diskutieren hier Luftschlösser. Was soll der Mist? So bist du doch sonst nicht.“

„Es kommt sogar noch schlimmer. Um sicher arbeiten zu können, müssten wir uns ein billiges Notebook zulegen, das wir nach der Sache wegwerfen. Wir müssen ständig ins Internet, layouten etc. Wir können das offene WLAN in Kneipen benutzen, aber der Rechner ist ein Risiko.“

„Wir reden hier also sinnloses Zeug, das wir es gar nicht umsetzen können?“ Marlene ist aus dem Häuschen. „Was soll der Scheiß?“

„Mir fiel keine Lösung ein. Tut mir leid. Hätte ich vielleicht früher sagen sollen!“

„Allerdings Mann“, sagt Elena. „Die ganze Planerei hätten wir uns schenken können.“

„Tja, das war es dann wohl“ sagt Petra triumphierend und bläst Rauch in die Luft. „Schade eigentlich.“

Sie erntet böse Blicke.

„Dich verstehe ich nicht“, sagt Elena zu ihr. „Manchmal bist du wirklich doof.“

Marc schaut Petra eindringlich an.

„Leider muss ich dich enttäuschen.“ Er greift in seine Jacke, holt den braunen Umschlag von Jochen heraus und legt das Geld auf den Tisch. „Zu unserer freien Verfügung. Bedient euch.“

„Wo hast du das denn her?“, will Vera wissen.

„Wie viel ist das?“, fragt Elena.

„Es sind 1000 Euro. Fragt nicht, wo die herkommen. Sie sind einfach da.“

„Marc, du bist Klasse!“ Stefan klopft seinem Freund auf die Schulter.

Petra zieht ein langes Gesicht. Damit hatte sie nicht gerechnet.