Kategorien
Krise & Virus

Jeden Tag die alte Leier

Ein Jahr Corona-Pandemie, Lockdowns, Ausgangssperren, langsam sterbende Privatleben, Vereine, ökonomische Unsicherheit und kein Ende in Sicht. Das sollte eigentlich Motivation genug sein, endlich neue Wege einzuschlagen, denn dieser Zustand ist für uns alle unerträglich.

Von Vidar Lindstrøm


Erinnert ihr euch noch an die Monate im Frühling 2020, im ersten Lockdown? Die ganze Gesellschaft schien still zu stehen, plötzlich fragten sich die Menschen – so mal kurz zur Ruhe gekommen – was zur Hölle treib ich hier eigentlich 40 Stunden +/- jede Woche und für wen und warum funktioniert in diesem Land nichts für Leute wie mich, zu diesem Horror muss es doch Alternativen geben? So kamen viele zu Erkenntnissen, die für Linke und andere Leute schon lange zur Grundannahme gehört: Der Kapitalismus ist ein vollkommen irrationales und menschenfeindliches System und seine neoliberale Spielart geht sogar soweit, alle Infrastrukturen, die notwendig sind für eine funktionierende Gesellschaft, für ein paar Euros an große Kapitalgesellschaften zu verramschen, um schnellen Profit zu machen. So oder so ähnlich zumindest. Die Pandemie hat mit aller Gewalt bewusst gemacht, dass das heruntergewirtschaftete Gesundheitssystem vor dem Gewerkschaften, Beschäftige und Linke seit Jahren gewarnt haben, tausende Tote zur Folge haben wird. Noch während wir mit Warnung vor dessen Kollaps alle in den Lockdown gesteckt wurden, haben Verantwortliche in den Landesregierungen Krankenhäuser schließen lassen. Das lässt keinen Zweifel aufkommen: Solange dem Kapital nicht massenhaft die Arbeiter wegsterben – also so, dass die Produktion gefährdet wird, können auch hunderttausende verrecken und erkranken.

Es kam wie es kommen musste. Alsbald die Ausbeuter und die Politiker gemerkt haben, dass hauptsächlich unsere Alten sterben dachten sich Union und andere Neoliberale sinngemäß „Was für ein Segen, endlich Erleichterung für das von uns kaputtgemachte Rentensystem und die Arbeitskräfte bleiben uns auch noch erhalten.“ Was in der Zwischenzeit passiert ist? Nun ja. Die Infektionszahlen gingen nach Lockdown eins runter, sodass wir einen annähernd unbeschwerten Sommer hatten. Aber das Geld muss fließen. Also Grenzen auf für den Tourismus: unkontrolliertes Spreading für alle! Natürlich war das so nicht abgemacht, denn immerhin sollten ja Teststrategien ein Wiederaufflammen verhindern. Die bestanden aus erstens: Ausbau der Ressourcen der Gesundheitsämter zur Rückverfolgung von Infektionen und zweitens: Ausweitung der Testkapazitäten und konsequente Quarantäne. Hier schließt sich nun der Teufelskreis: einmal kaputtgesparte Infrastrukturen kann man nicht so einfach in null Komma nichts wieder aufbauen. Teststrategien, die von Experten empfohlen wurden und in vielen Ländern erfolgreich waren (z.B. Clustertests), wurden nicht umgesetzt. Stattdessen Streitereien darüber, wer denn das alles bezahlen soll. Wir kennen alle das Ergebnis. Es wird Herbst, die Schulen sind auf, die Betriebe laufen auf Hochtouren und die Regierung versagt komplett. Lockdown zwei kann kommen.1

Lockdown zwei wird bekanntlich anders. Diesmal bleiben die Betriebe offen, Selbstständige, die Kulturbranche und die Gastronomie, unser aller Privatleben, also alles was wenig zum BIP beiträgt, werden dafür geopfert. Das staatliche Durchgreifen hat sich als Ratlosigkeit enttarnt und weil der Staat Angst hat, dass seine Politik keine Legitimität mehr besitzt, folgen Ausgangssperren. Aber wir leben ja auch in Deutschland und dank sechzehn betäubenden Jahren Merkel steigen die Umfragewerte für die Union auch dann noch, wenn sie zehntausende Corona-Tote zu verschulden hat. Die Herrschenden sitzen also vorerst noch im Sattel, denn auch von der Linken, der parlamentarischen wie auch der revolutionären, haben sie nichts zu befürchten. Man könnte noch länger die endlosen Details des staatlichen Versagens aufzählen, aber wir alle wissen was passiert ist. Zumindest diejenigen von uns, die nicht wie weite Teile der Linken dem Staat seit einem Jahr an den Lippen hängt und darauf wartet, dass was passiert. Aber jetzt gibt es mit Zero-Covid „endlich eine Linke Antwort auf die Krise“, so zumindest diejenigen GenossInnen die in sektiererischer Tradition Initiativen wie Solidarisch gegen Corona und #NichtaufunseremRücken geflissentlich ignoriert haben. Das Hurra-Geschrei war schon sehr befremdlich. Nicht nur weil genannte Initiativen gekonnt ignoriert wurden, sondern vor allem weil der inhaltliche Rahmen bei Zero-Covid so weit ausgelegt ist, dass ihn jeder trottelige Liberale unterschreiben kann. Befremdlich ist auch wie sehr sich so in die vermeintlich neue Hoffnung hineingesteigert werden kann, dass vielen ganz relevante Sachen entfallen zu sein scheint: Vor Corona ist ein noch viel schlimmeres Monster erwacht, dass durch Corona-Hilfen und staatliche Subventionen noch verdeckt bleibt; ein neuer Krisenzyklus des Kapitalismus, der dieses Mal auch die ArbeiterInnenklasse in Deutschland knallhart treffen wird. Schon jetzt stehen die Ankündigungen und Berechnungen: tausende Betriebe werden in den nächsten Jahren bankrott gehen, zehn- wenn nicht sogar hunderttausende ihre Arbeit verlieren. Wer Glück hat, bekommt Staatsknete für seine marode Zombie-Firma.

Insgesamt ist die Situation unerträglich. Als große Exitstrategie, wie wir den Virus besiegen können wird uns eine Impfstrategie präsentiert, die wahnwitziger nicht sein könnte. Im Regelfall hieße das, dass wir Ende des Jahres eine Herdenimmunität erreichen (z.Z. ungefähr 74%). Aber wie das nun mal so ist, braucht es dazu die notwendige Infrastruktur. Mit hunderten Millionen Steuergeldern wurden Pharmakonzerne unterstützt um schnellstmöglich einen Impfstoff zu entwickeln und es ist eine Erfolgsgeschichte. Für Liberale ein Grund zum Jubeln, denn der freie Markt liefert. Oder eben doch nicht. Mit einem freien Markt hat eine Steuergeld finanzierte Impfstoffforschung sowieso nichts zu tun. Seine Rolle durften er dann doch noch spielen und so haben es die profitgetriebenen Pharmakonzerne nicht fertig gebracht – in bester marktwirtschaftlicher Manier – genügend Impfstoff zu produzieren um Menschenleben zu retten. Woran scheitert’s? Habt ihr schon mal versucht euren eigenen Ellenbogen mit der Zunge zu berühren? Ihr habt es nicht geschafft? Das ist auch nur logisch, denn unsere Anatomie erlaubt derartige Späße nicht und so ähnlich ist das mit dem Neoliberalismus. Man kann nicht einerseits ein System haben, dass staatliche Einmischung für falsch hält (außer es sollen Banken und Konzerne gerettet werden, da werden sie dann plötzlich alle Sozen) und alles privatisiert und dann verlangen, dass das selbe System es plötzlich doch kann. Wie sollte es auch, nichts in seiner DNA hat jemals gesagt „Hallo entwickel doch diese oder jene Fähigkeit.“ Das ist ein Widerspruch und genau hier wird es interessant. Eine Aufgabe von KommunistInnen ist es, in Krisenzeiten den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit soweit zum eskalieren zu bringen, dass dieser platzt und es zum Kampf kommt, bei dem sich eine Seite durchsetzen muss. Davon sind wir Lichtjahre entfernt, aber der Gedanke ist wichtig. Denn es gibt einen anderen Widerspruch, der sich uns während dieser Pandemie allen offenbart hat: Einen, den alle Menschen letztes Frühjahr nur zu deutlich vernommen haben. Der zwischen einem neoliberalen Kapitalismus, in dem der Staat nicht fähig ist, drängende Menschheitsfragen auch nur ein bisschen zu lösen und dem Bedürfnis der Menschen nach (ökonomischer) Sicherheit, Gesundheit und freier Entfaltung. Dieser Widerspruch wird auch im Zero-Covid-Aufruf unterschwellig aufgemacht.

Wenn wir tatsächlich darüber diskutieren wollen, wie sich Gegenmacht von unten aufbauen lässt, dann sollten wir da ansetzen, wo es am wahrscheinlichsten ist, an den aktuellen Erscheinungen des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit, ja sogar zwischen Kapital und Menschheit wie bei der Frage der Ökologie. Eine linke Offensive gibt es nicht einfach, weil man plötzlich das richtige schreibt und das dann versucht nach außen zu propagieren. Um in die Offensive zu kommen, braucht es auch die dafür notwendigen gesellschaftlichen Kräfte und das ist die ArbeiterInnenklasse. Die ist aber seit Jahrzehnten der Kapitaloffensive, der Deindustrialisierung und Diversifizierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse gespalten und in der Defensive. Es aber auch die nötigen Organisationsstrukturen und gesellschaftliche Bewegung, die aufgegriffen werden kann. Die gibt es tatsächlich zuhauf: Feminismus, Ökologie, Migration, Rassismus, etc.. Überall sind Linke beteiligt und versuchen um Einfluss zu kämpfen. Viele dieser Bewegungen sind auch eine Offensive, nur fehlt ihnen oft eine zentrale Sache, nämlich der Einfluss in einer breiten Bevölkerungsschicht die fähig ist und die Mittel besitzt, politisch etwas durchsetzen zu können. So verzweifelt sich mancher davon loszusagen versucht, das ist und bleibt die ArbeiterInnenklasse, denn im Kapitalismus ist politische Macht immer gleich ökonomische Macht. Alle Bewegungen kranken daran. Selbstverschuldet ist das nur teilweise. Fridays for Future zum Beispiel spricht weder in Sprache und Inhalt die ArbeiterInnenklasse an. Andere Bewegungen tun das. Von der Linkspartei bis zur radikalen Linken haben viele die soziale Frage2 auf der Agenda. Erfolg hat das außerhalb lokaler und zeitlicher Begrenzungen in den wenigsten Fällen. Die großen Entwürfe kommunistischer Utopien (so berechtigt ich sie finde) jucken erst mal niemanden außerhalb der Linken. Wer versuchen will auch nur Teile der ArbeiterInnenklasse für sich zu gewinnen, der muss an der konkreten Lebensrealität ansetzen: Das Universelle durch das Einzelne konstruieren, wie es die GenossInnen von Autonom Organisering in Schweden 2019 bei uns im Magazin schrieben, scheint der einzige realistische Ansatz zu sein, die ArbeiterInnenklasse wieder zusammenzubringen und sie mit den diversen Bewegungen zu vereinen. Jahrzehnte der Demobilisierung und Jahrhunderte des Antikommunismus, lassen sich nicht einfach so theoretisch und abstrakt überwinden. Dazu braucht es ein Programm, das Schritt für Schritt denkt, größere Ziele anpeilt und sich flexibel den sich verändernden Begebenheiten anpasst. Und vor allem geht es auch darum Kämpfe zu gewinnen und dass wir den Menschen zeigen, dass sie sich auf uns verlassen können. Wenn wir das nicht schaffen, gibt es auch keinen Grund warum irgendjemand daran glauben sollte, dass eine kommunistische Gesellschaft möglich ist.

Es bleibt also festzustellen, dass die ganze große revolutionäre Phrasendrescherei ganz konkret nirgendwo hinführt. Wer wirklich was erreichen will und auch nur annähernd dahin kommen will, dass es wieder Bewegungen mit Perspektive gibt, dass auch nur ein einziger Mensch wieder daran glaubt, dass es eine kommunistische Perspektive gibt, der sollte seine potentiellen Bündnispartner nicht abstrakt denken, sondern konkret suchen. Man kann es nur immer wieder wiederholen, es sind eure NachbarInnen, eure KollegInnen, die Leute in eurem Viertel. Der erste Schritt muss also sein, mit diesen Leuten in Kontakt zu treten und sich ihre Probleme anzuhören, herauszuarbeiten was benötigt wird und wo es brennt und dort wo es sich mengt dann anzupacken und andere einzuladen, ganz praktisch was zu unternehmen. An Problemen mangelt es nämlich nicht. Es mangelt lediglich an einer Linken, die bereit ist, wieder diesen unangenehmen und anstrengenden Weg zu gehen. Es bringt da auch gar nichts sich an die (in Deutschland wirklich geringe) Hoffnung festzuklammern, dass auch spontane Aufstände3 große Sprünge in der Entwicklung von Klassenbewusstsein bewirken können. Denn auch die verpuffen im Gegenangriff der Reaktion, wenn daraus keine organisierte Macht entsteht, welchen den gemachten Fortschritt nutzen und festigen kann. Wer im Hier und Jetzt konkrete Kämpfe forciert, starke Bündnisse schafft, programmatisch und strategisch denkt – die Menschen da abholt wo sie sind – der wird fähig sein die Menschen in die Lage zu versetzen, Kommunismus und Rätedemokratie, wieder als Alternative zu Kapitalismus und Entrechtung denken zu können. Die Erfahrung der Solidarität allein ist fähig die Hoffnung zu nähren. Um die dazu nötigen Aufgaben zu meistern, braucht es Mut, Anstrengung, Geduld und die kann man glücklicherweise lernen. Nur den Kampfgeist, den müsst ihr in euch selbst suchen.


1In dieser Aufzählung des Versagens fehlen ein paar Beispiele: Das RKI hat erst eine Maskenpflicht ausgesprochen, nachdem der Staat die flächendeckende Versorgung sicherstellen konnte, davor soll es nicht notwendig gewesen sein (RKI). Die Schulen wurden erst geschlossen, als der Druck zu groß wurde. Davor meinte das RKI noch, von Schülern geht keine Gefahr aus (was für ein Irrsinn). Überhaupt, dass die Regierung versucht hat so lange wie möglich zu verhindern, dass Großkonzerne Einbußen haben.

2Deutsche Wohnen und Co. Enteignen bleibt eine er wenigen erfolgreichen Ausnahmen der letzten Jahre.

3Eine Buchempfehlung muss ich hier aussprechen: Riot.Strike.Riot von Joshua Clover ist eine gelungene materialistische Analyse des Zusammenhangs zwischen Kampfmittel und -form der ProletarierInnen und der historischer Dynamik des Kapitalismus.

%d Bloggern gefällt das: