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Kapitalismus

Zentralbanken und globales Privatkapital – eine toxische Mischung, die zum Faschismus führt

Von Natterjack

Übersetzung Vidar Lindstrøm

Die zehn reichsten Männer der Welt haben in den letzten zwei Jahren ihr Vermögen von 700 Milliarden Dollar auf 1,5 Billionen Dollar mehr als verdoppelt. Milliardäre haben aktuell ein Vermögen von über 5 Billionen Dollar akkumuliert. Jeder, der mit diesen Zahlen konfrontiert wird, egal welcher politischen Schattierung, muss sich notwendigerweise fragen, ob so wirklich ein optimales ökonomisches System für 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten aussieht und ob ein derartiges System in Anbetracht des Ausmaßes der existierenden Umweltschäden und des menschlichen Leids, dass wir gegenwärtig erleben, wirklich nachhaltig ist. Diese unglaublichen Zahlen der Reichtumsakkumulation spiegeln sich in der gegenwärtigen globalen Krise der Nahrungsmittelunsicherheit und der extremen Armut, durch die geschätzt 800 Millionen Menschen dem Risiko eines Hungertods ausgesetzt und Milliarden von Menschen in extremer Armut gefangen sind. Interessanterweise wurde diese extreme Kapitalakkumulation bestens von Marx in Das Kapital1 beschrieben. Zentralbanken und Besitzer von privatem Eigenkapital arbeiten in Einklang für eine bestimmte Agenda. Diese Agenda hat nur einen Zweck: Das Verlängern eines ökonomischen Systems, dass die absolute Akkumulation von Kapitalvermögen für eine winzige Minderheit zum Nachteil aller anderen ermöglicht. Die marxistische Theorie kann erklären, wie diese Agenda die Situation verschlimmern, wie sie schlussendlich scheitern und zu politischer Repression und Faschismus führen wird.

Unabhängige Zentralbanken und Festlegungen von Zinszielen – ein Rezept für Rezession

Zentralbanken haben eine Schlüsselrolle in der Kontrolle der Geldmenge in der Weltwirtschaft inne. Jede Maßnahme, die sie ergreifen, um deren Verfügbarkeit zu ändern, wird große dramatische Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben.

Bevor wir die Maßnahmen der Zentralbanken untersuchen, sollten wir uns zuerst dem Begriff „unabhängig“ und seiner Bedeutung widmen. Seit den späten 70er Jahren gibt es eine kontinuierliche Argumentationslinie im orthodoxen ökonomischen und politischen Denken, die besagt, dass Zentralbanken über der Politik stünden und von ihr getrennt seien. Es gibt einen sich hartnäckig haltenden Glauben in den Mainstream-Medien, dass es eine gut funktionierende Wirtschaft nur mit einer „unabhängigen“ Zentralbank geben könne. Der Begriff der Unabhängigkeit wird mit anderen Säulen der Gesellschaft, wie einer unabhängigen Justiz oder einer freien Presse, in Verbindung gesetzt. Dieser Auffassung liegt die Idee zugrunde, dass demokratisch gewählte Volksvertreter Entscheidungen „voreingenommen“ oder „politisch“ treffen würden, Zentralbanker jedoch Technokraten seien und deswegen politisch neutral zum Besten der Wirtschaft arbeiteten. Diese allgegenwärtige Auffassung hat sogar dazu geführt, dass der IWF die Unabhängigkeit der Zentralbanken als eines seiner Kriterien für die Kreditvergabe an Länder der Dritten Welt aufgenommen hat, ohne dass es einen wirklichen Beweis dafür gibt, dass das für diese Länder überhaupt von Vorteil ist. Diese Vorstellung der Unabhängigkeit ist jedoch irrational und in Anbetracht realer Beispiele ganz klar unrichtig. Die Maßnahmen stehen in starkem Kontrast zu den Behauptungen und sind immer politisch motiviert, mit dramatischen Auswirkungen auf die Gesellschaft und ohne dass demokratisch gewählte Vertreter darauf einwirken können. Warum ist die Vorstellung irrational? Die Festlegung von Zinszielen scheint das einzige Kontrollinstrument der Zentralbanken geworden zu sein. Kapitalverkehrskontrollen werden als Anathema zum freien Fluss des globalen Kapitals gesehen, der für den „freien Markt“ als notwendig betrachtet wird. Es ist jedoch unlogisch, zu glauben, dass eine einzige Zinsrate und eine damit indirekt verbundene Inflationsrate bei einem gegebenen Niveau der Wirtschaftsleistung gleichzeitig sowohl dem gewinnorientierten Kapital als auch der lohnabhängigen Arbeit dienen könnte. Es gibt keine goldlöckchenartige Zinsrate, die irgendwie der gesamten Gesellschaft dient. Zentralbanken werden immer versuchen, möglichst niedrige Zinsraten festzulegen – weil ihre größte Angst die Inflation ist. Preissteigerungen, die unmittelbar mit Gewinnmitnahmen einhergehen, sind unelastisch und erreichen sehr schnell eine Obergrenze, aber eine höhere Inflation wird mittel- und langfristig auch den Wunsch und den Kampf um höhere Löhne verstärken, da die Lebenshaltungskosten steigen. Dies wiederum heizt die Angst vor niedrigen Profitraten an. Keynesianische Kostentreiber, wie Lohn-/Preisspiralen, die eine Inflation verursachen, wurden von Marx zurückgewiesen und, zu seiner Rechtfertigung, es ist in der Tat äußerst schwierig, sie empirisch nachzuweisen. Dies wissend ist es doch interessant, dass die Entscheidungsträger der Zentralbanken nur vor dem Effekt warnen, den steigende Löhne auf die Inflation haben, und niemals vor dem der Gewinnmitnahme. Die moralisch schlimmere Auswirkung einer niedrigen Inflation und der Unterschreitung eines niedrigen Zielzinssatzes ist die Unterdrückung von Wachstumsraten durch Deflation, was zu Rezessionszyklen führt, da steigende Zinsen die Nachfrage drücken, was zu höherer Arbeitslosigkeit und geringerem Lohnwachstum führt. In den Abschriften des kürzlich stattgefundenen Jackson-Hole-Treffens ist nachzulesen, dass viele Zentralbanker in ihren Präsentationen über „angespannte“ Arbeitsmärkte sprachen, von denen sie zugaben, dass diesen durch höhere Zinssätze begegnet werden müsse. Es gibt ebenfalls keinen Beweis dafür, dass das Verhältnis zwischen allmählich steigenden Zinssätzen und einer abnehmenden Nachfrage überhaupt linear ist. Es gibt also keine „sanfte Landung“. Orthodoxe Inflationsmodelle sind herzlich schlecht dazu geeignet, zukünftige Inflationsbewegungen vorherzusagen. Einfach nur jeden Monat die Zinssätze zu erhöhen und auf einen Effekt zu warten, führt zum Overkill, zum Einbruch der Nachfrage und dem Abkippen der Volkswirtschaften in eine schwere Rezession, aber wie oben dargestellt, scheint dies im allgemeinen Konsens ein Opfer zu sein, das es wert ist, um das Gewinnniveau und die ungehinderte Kapitalakkumulation abzusichern. Nicht gewählte Einzelpersonen treffen also tiefgreifende finanzielle und zutiefst politische Entscheidungen, um eine Rezession herbeizuführen, in vollem Wissen und zynisch darauf hoffend, dass arbeitende Menschen ihre Jobs verlieren, ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können, dass Nachfrage und Inflation sinken, nur um Lohnsteigerungen zu verhindern und die Gewinnspanne zu bewahren. Das Argument, dass Zentralbanker neutrale Technokraten und deswegen unbeeinflusst von Politik seien, ist gelogen. In der aller großen Mehrheit der Fälle kommen sie aus privaten Investmentbanking-Karrieren und kehren auch dorthin wieder zurück. Wir als sogenannte demokratische Gesellschaften haben also einen der wichtigsten Hebel der ökonomischen und politischen Macht nicht gewählten superreichen privaten Finanziers überlassen, die die Zinssätze so wählen, dass eine Inflation des Lohnwachstums verhindert wird, um die Gewinne zu schützen.

Quantitative Lockerungen halten den Patienten am Leben, während die Reichen noch reicher werden

Zentralbanken haben jedoch mehr Aufgaben als nur die Festlegung von Zinssätzen, sie spielen eine zentrale Rolle bei dem Versuch, die Wirtschaft zu stabilisieren, indem sie Banken mit Kreditliquidität versorgen. Von einer historischen Perspektive aus betrachtet sind lange Perioden ökonomischer Deflation und stagnierender Preise die Regel. Marx‘ Theorie der Wertschöpfung gibt uns eine Erklärung, warum das so sein sollte. Er argumentierte, dass die kapitalistische Produktion ständig danach strebt, eine höhere Stückzahl mit weniger Arbeitszeit pro Arbeiter zu produzieren. Die Arbeitszeit pro Stück wird also sinken, wenn die Produktion ausgeweitet wird. Da nur menschliche Arbeit tatsächlichen Wert schafft, verwässert jede neue Erhöhung der Produktivität den Wert jeder neuen Einheit eines Endprodukts. Der durch investiertes Kapital gewonnene Profit spiegelt sich im Mehrwert wider. In dem Maße, in dem die Produktivität mehr Einheiten produziert und Kapital akkumuliert wird, sinken die Profitraten pro Ware, da ihr neuer Wertanteil sinkt, was die Kapitaleigner veranlasst, in neuen Sektoren nach höheren Renditen zu suchen oder zu spekulieren und Kapital in reine Finanzanlagen zu verlagern. Preise sind ebenso eine monetäre Abbildung des Werts, so dass mit der Zeit eine deflationäre Tendenz des neuen Werts und damit auch der Preise zu beobachten ist. Bewiesenermaßen hat dieser deflationäre Trend neue produktive Investitionen verhindert und zu aufgeblähten Blasen an den Finanzmärkten geführt. Dies führt zu einer Krise in der Realwirtschaft und zu überbewerteten Finanzanlagen (wie es 2008 der Fall war). Um diesem Effekt zu begegnen, erhöhen Zentralbanken die verfügbare Geldmenge, indem sie ihre eigenen Währungen drucken und Staats- und Unternehmensanleihen zu Nominalsätzen aufkaufen. Dies senkt die Rendite auf diese Anleihen. So wird die Refinanzierung der Regierungen überschaubar und die Kreditvergabe günstiger. Es schützt Regierungen und Großbanken vor dem Zusammenbruch und bringt hoffentlich Investitionen in Gang. Paradoxerweise verschafft das privaten Kapitalbesitzern dadurch noch mehr Geldvermögen zu niedrigen Zinssätzen. In der Theorie verleihen Nationalbanken und andere Kreditinstitute diese neu erstandene Liquidität an Unternehmen, die in neue Gebrauchsgüter und Jobs investieren, was die Wirtschaft ankurbeln soll. Bis zu einem bestimmten Grad hilft das, den Kollaps zu verhindern, aber Großinvestitionen in die produktive Ökonomie bleiben aus, und die zusätzliche Liquidität fließt größtenteils in Finanzanlagen, wodurch deren Besitzer höhere Gewinne erzielen können. Während die Ungleichheit in allen kapitalistischen Volkswirtschaften zunimmt, führt die Politik in den fortgeschrittenen G7-Ländern zu niedrigen Löhnen, Armut und einer Inflation der Immobilienpreise, die Eigentum verhindert. In den Entwicklungsländern erleben wir Staatsbankrott und Hunger oder Nahrungsmittelunsicherheit.

Wir waren hier schon einmal

Wir hatten in der Geschichte bereits ähnlichen Perioden. Der in den 1870ern geschaffene Goldstandard und die damit einhergehende Liberalisierung des globalen Finanzwesens sowie die imperiale Expansion führten zu einer gigantischen Reichtumsakkumulation für eine kleine Minderheit von Industriellen. Im frühen neunzehnten Jahrhundert ist das System bei einer hohen Ungleichheit instabil geworden, was zu Krieg und Revolution führte. Nach dem Krieg und der Grippe-Pandemie war die arbeitende Bevölkerung geschrumpft, nicht unähnlich zu den heutigen demografischen Veränderungen der Babyboomer. Die furchtbaren Verluste an der Westfront hatten die herrschende Klasse diskreditiert. Bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 wurden jedoch alle großen Änderungen zur Einschränkung des Finanzwesens, die Visionäre wie Keynes vorgetragen haben, abgelehnt. Die Propaganda der fiskalischen Disziplin, der ausgeglichenen Haushalte und der Austerität wurde genutzt, um Lohnforderungen und -bedingungen zu unterdrücken. Instabilität und Ungleichheit waren wieder gestiegen und führten zum Wallstreet-Crash und der Großen Depression. In den 30ern wurden faschistische Populisten von der industriellen Elite unterstützt, um ihre politische Macht zu sichern, die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft zu unterdrücken und linke Organisationen anzugreifen. So kam es zum Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt heutzutage viele ähnliche Parallelen mit all dem Gerede über ausgeglichene Haushalte, die Schwarze Null usw. Nationale Zahlungsbilanzen und Zentralbankfinanzen sind ganz anders als normale Haushaltsbudgets, und sie zu vergleichen, auch wenn einfache Vergleiche möglich sind, ist illusorisch. Wenn sie vergleichbar wären, wären alle Länder bankrott und eine quantitative Lockerung wäre nicht möglich. Aber es dient der Austeritätsgeschichte oder dem Grund, warum wir die orthodoxe Sichtweise nicht in Frage stellen dürfen und schlechte Löhne und Bedingungen akzeptieren müssen. Es gibt keinen Grund, warum die superreiche Elite sich zukünftig aufseiten der demokratischen Institutionen schlagen sollte, wenn sie vom Faschismus größere Vorteile hat. Der neoliberale Kapitalismus treibt diese perverse Reichtumsakkumulation voran, genauso, wie Marx es sagte. Die durch Spekulation verursachte Instabilität der Finanzmärkte, die massive Ungleichheit und die globale Bevölkerungsverschiebung können nur zu Faschismus führen. Vielleicht werden wir ihn dieses Mal nicht überleben.

1Karl Marx, Das Kapital, Band I, Kapitel 23: Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation