„Was ist denn hier los?“, fragt Marc Vera. „Die wirken aber ziemlich bedeppert.“
Er wendet seinen Blick zu den Rechten, als er mit Vera über den Schulhof läuft.
„Sie beobachten uns. Aber nur heimlich.“
„Sie pöbeln nicht.“
„Und lachen tun sie auch nicht.“
„Nur Peter wirkt arrogant wie immer. Das Hipster-Arschloch.“
Im Schulhaus treffen sie auf eine ziemlich aufgeregte Marlene.
„Der Hausmeister ist weg.“
„Na und?“, fragt Vera zurück.
„Er liegt angeblich mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus und soll nicht mehr zurückkommen. Die Schule sucht schon einen Nachfolger.“
„Nochmal: ‚Na und?‘“
Marlene würde am liebsten von René erzählen, aber sie beißt sich auf die Zunge. Sie hat es ihm versprochen. Und ihre Smartphones sind auch alle angeschaltet. Tratschen könnte ihn gefährden.
Ich habe schon allerhand von ihm gelernt, denkt Marlene stolz.
Als sich die sechs Freunde am Abend bei Vera treffen, geht es Marlene nicht gut. Die Sache mit Isabella macht ihr zu schaffen. Vor allem aber, dass sie bisher mit niemandem darüber sprechen konnte. Sie ist froh, den anderen gleich über den Angriff auf Isabella erzählen zu können.
„Lasst uns über Mittwoch sprechen. Was genau sollen wir denn da machen?“, unterbricht Vera ihre Gedanken.
„Zuerst machen wir mal eine E-Mail-Liste und sammeln die Handynummern, damit wir alle erreichen können“, schlägt Petra vor.
Marlene ist nicht bei der Sache. Das Gespräch plätschert an ihr vorbei. Sie denkt an die weinende Schwester, die ängstlich zu Hause sitzt. Sie ist René sehr dankbar, dass das Scheusal Weitzel verschwunden ist. Aber ihr Wissen belastet sie.
Hat er den Weitzel vielleicht umgebracht? Zutrauen würde ich ihm ja so was. Aber den Hausmeister? Bestimmt nicht. Hoffentlich nicht.
Sie hat Angst vor den Konsequenzen.
„Lasst uns was vorbereiten“, meint Stefan. „Wie wäre es mit einer Art Tagesordnung?“
Das Gespräch ist Marlenes Hintergrundkulisse, während ihr Kopf mit einer anderen Frage beschäftigt ist.
Ich muss es den anderen jetzt sagen. Wir müssen uns doch was wegen Isabella überlegen. Aber ich kann das nicht.
„Genau, und eine Diskussionsleitung“, sagt Vera. „Die sozusagen über die Redezeit und die Reihenfolge wacht.“
Und außerdem haben die gerade ein völlig anderes Thema.
„Suche nach einem anderen Raum“, hört Marlene Marc sagen. „Edgars Einwand ist gut. Außerdem könnte er dann auch kommen, weil’s dann ja keine Schulveranstaltung mehr ist.“
Ob Isabella eine Therapie braucht? Sie traut sich ja nicht mehr allein auf die Straße.
„Genau! Wir müssen zuerst recherchieren, was die Nazis machen, Zusammenhänge rauskriegen und so, und schauen, wer von denen genau welche Funktion hat!“ Elenas Augen funkeln begeistert.
Nur an wen kann ich mich mit so was wenden? Unsere Eltern fallen ja schon mal aus. Das will Isabella auf gar keinen Fall.
„Ein paar Sachen wissen wir ja schon“, sagt Stefan und schaut Marc fragend an.
„Ich finde, du solltest es allen sagen“, antwortet er. „Aber lasst uns erst die Handys ausschalten und in den Keller bringen. Nur so können wir einigermaßen sicher sein, dass niemand mithört“, wirft Marc ein, „das habe ich mal gelesen.“
Marlene horcht auf. Was ist denn jetzt los?
Marlene gibt ihr Smartphone mechanisch Marc. Er packt alle in einen Beutel und geht nach unten.
Schließlich schauen alle Stefan erwartungsvoll an. Er holt tief Luft. Dann erzählt er von seiner Falle, dem zweiten Angriff, den verletzten Nazis und dem Büchlein.
„Gestern war ich im Josefs-Hospital. Am Empfang haben sie mir gesagt, wo die beiden liegen. Sie sind also stationär aufgenommen worden“, ergänzt er. „Und sie sind noch da. Das war nachhaltig“, sagt Stefan triumphierend.
Alle machen betretene Gesichter.
„Wieso hast du denn das gemacht?“ Petra ist außer sich. „So eskalierst du die Sache doch nur!“ Ihre Angst ist wieder entfesselt.
„Wieso ich? Die sind doch mit dem Totschläger auf mich losgegangen! Die haben zuerst Tränengas gesprüht! Dreh bitte die Fakten nicht um!“ Stefan ist aufgesprungen.
„Leider muss ich Stefan zustimmen“, sagt Marlene stockend. „Die Nazis sind bösartiger als uns lieb ist.“
Dann laufen ihr Tränen über die Wangen. Vera setzt sich neben sie.
„Hey, was ist los?“
„Ich werde euch jetzt auch etwas erzählen. Aber es darf diesen Raum niemals verlassen! Und ist nur für eure Ohren bestimmt! Versprecht ihr das?!“
Alle nicken.
Nur Petra widerspricht: „Hey, ich will erst über Stefans Scheißaktion sprechen! Drängel‘ dich bitte nicht dazwischen.“
„Petra, es scheint wichtig zu sein“, sagt Vera scharf.
„Nein, erst will ich über die beiden verletzten Nazis sprechen. Das ist doch voll übertrieben von Stefan!!“
Marc ist die Ruhe selbst. „Petra, die Nazis haben ihn angegriffen, nicht umgekehrt.“
„Das ist mir scheißegal. Ich habe Angst, darum geht es.“
Elena schüttelt Petra liebevoll. Sie nickt Richtung Marlene.
„Halt mal bitte die Klappe. Schau dir Marlene an. Ich glaube, das ist wirklich wichtig. Nimm dich mal zurück!“
„Nein, ich war die Erste …“
„Schnauze jetzt, Petra!“, brüllt Vera sie an. „Geh ans Fenster und rauch’ eine!“
Sie reicht Marlene ein Tempo. Petra steht am Fenster. Sie ist sauer, sagt aber nichts mehr. Es ist mucksmäuschenstill. Marlenes Tränen laufen. Sie erzählt von Isabella, dem Hausmeister, Alfred und Bernd. Von Griffen zwischen die Beine und an ihre Brüste. Ihre Stimme wird mehrfach von Schluchzen unterbrochen. Petra hat vor Schreck die Hand vor den Mund geschlagen. Als Marlene endet, weint sie ebenfalls.
„Oh mein Gott!“
„Dass der Weitzel weg ist, das hat meine Familie geregelt. Fragt bitte nicht nach. Aber um die zwei Hiwis müssen wir uns selber kümmern.“
„Das ist doch unfassbar!“ Elena schüttelt den Kopf.
„Die wollten sie zu dritt vergewaltigen?! Was sind das denn für kaputte Gestalten?!“ Vera kann es ebenfalls nicht fassen.
„Wie geht es Isabella?“, will Marc wissen.
Vera ist stolz, dass Marc sich nach Isabella erkundigt. Sie wirft ihm einen warmen Blick zu.
„Es geht ihr ganz schön mies“, antwortet Marlene etwas ruhiger. „Sie ist froh, dass nicht mehr passiert ist. Aber der Schock sitzt tief. Sie hat Angst. Vor Männern. Vor Kellern. Aber vor allem vor den Nazis. Sie hat die letzten Tage nur in ihrem Zimmer gesessen und geheult.“
„Wir müssen was tun. Es kann nicht sein, dass so was ungestraft bleibt. Wenn es keine legalen Mittel gibt, müssen wir uns eben was überlegen, was wir machen können.“ Vera ist aufgebracht.
Petra dreht sich eine neue Zigarette. Ihre Hände zittern. Ihre Augen sind tränenfeucht. Sie hat sich noch einigermaßen im Griff. „Aber was könnte das sein?“
Stefan räuspert sich. „Ich hätte da so eine Idee. Ich habe mal ein bisschen in dem Adressbüchlein herumgeblättert und mich die letzten Tage ein wenig umgeschaut. Alfred und Bernd stehen da auch drin. Sie wohnen beide im gleichen Wohnblock in Biebrich, in der Albert-Schweitzer-Straße. Fast nebeneinander. Beide sind motorisiert. Bernd fährt ein Quad und Alfred eine Vespa. Vielleicht sollten wir uns die Dinger mal vornehmen …“
„Was willst du machen? Die Bremsschläuche durchschneiden und sie einen Unfall bauen lassen?“, fragt Elena.
„Nein, ich will sie ja nicht umbringen. Wie wäre es mit einem Grillanzünder? Auf den Reifen legen, Feuerzeug dranhalten, weggehen. Das brennende Ding entfacht dann das Fahrzeug. Wurde in Berlin schon massenhaft gemacht“, antwortet Stefan. „Das war da mal so eine Art Volkssport gegen dicke Autos.“
„Das ist doch nicht dein Ernst“, sagt Vera.
„Wieso denn nicht?“, fragt Stefan zurück, „das können wir sofort machen. Dazu braucht es wenig Vorbereitung. Und wir verletzen dabei niemanden, senden aber ein eindeutiges Signal an die beiden.“
Stefans Idee breitet sich wie ein neuer Geruch im Raum aus. Doch bei jedem Anwesenden führt er zu einer anderen Reaktion.
Marc und Elena gefällt der Gedanke. Etwas Praktisches zu machen, finden sie gut.
Vera ist überrascht. Positiv überrascht. Sie ist dabei.
Marlene findet alles gut, was sich gegen die Fast-Vergewaltiger ihrer Schwester richtet. Ihre Wut lässt keinen Platz für Ängste.
Petra ist zurückhaltend und besorgt. Ihr gefällt die Idee ganz und gar nicht. Aber sie sagt nichts. Sie weiß, dass etwas getan werden muss. Deshalb verfällt sie nicht in Panik. Sie dreht sich eine neue Zigarette. Schätzungsweise die neunte heute Abend. Dann nickt sie vorsichtig.
„Ja, irgendwas muss passieren.“
„Und wie stellst du dir das genau vor?“, fragt Marc Stefan. „Du hast doch sicher schon einen Plan?“
„Naja, wir kaufen Grillanzünder und gehen nachts zu den beiden Fahrzeugen. Legen sie auf die Reifen, zünden sie an und hauen ab. Jeweils zu zweit, während zwei weitere die Umgebung beobachten.“
„Du hast dir das alles schon ziemlich genau überlegt, oder?“ In Veras Stimme schwingt leichte Begeisterung.
„Ja“, gibt Stefan zu, „ich war schon mal dort, und habe die Sache auch schon genau durchgespielt. Das dauert alles nur ein paar Minuten und zack, sind wir wieder weg und die Dinger stinkende Plastikhaufen.“
Petra fragt in die Runde: „Denkt ihr die beiden kapieren das? Ich meine, das könnte ja wegen sonst was sein …“
„Nee, nee Petra. Mach dir mal keine Sorgen.“ Marlene winkt ab. „Wenn’s bei beiden brennt, da wissen die genau, was los ist. Außerdem ist der Weitzel ja nebenbei auch noch verschwunden. Die sind doof, aber nicht soooo doof!“
„Ja, das denke ich auch“, sagt Marc. „Das verstehen die schon. Vielleicht sagen sie es keinem und denken sich irgendeine Lüge als Erklärung aus. Aber die Botschaft kommt an. Da bin ich mir sicher.“
„Außerdem ist noch was passiert“, sagt Vera. „Das muss ich jetzt erzählen.“
„Bitte nicht noch etwas, das verkrafte ich nicht“, stöhnt Petra.
Vera setzt sich neben Marlene auf.
„Meine Mutter hat mir erzählt, dass Mîrhat und seine Männer am Samstag bei etwa einem Dutzend Nazis vorstellig geworden sind. Tenor: „Haltet Abstand. Wenn irgendwas vorfällt, seid ihr dran!“
„Das erklärt natürlich das passive Verhalten der Arschlöcher von heute“, bemerkt Elena.
„Dann hat der Besuch wohl gewirkt …“, antwortet Marc grinsend. „Wenn man den richtigen Ton trifft, kann man also doch mit Nazis reden.“
Stefan prustet vor Lachen. Petra findet das gar nicht witzig. „Aber das kann doch nicht lange anhalten. Ich meine, der Schreck vergeht und dann kommt wieder was von denen! Spätestens dann sind wir reif.“ Nervös zieht sie an ihrer Kippe.
Alle rollen genervt mit den Augen.
„Petra, das war ein Anfang. Das schüchtert die erst einmal ein. Okay?!“, sagt Stefan. „Jetzt haben wir ein paar Tage den Rücken frei! Haben Zeit gewonnen!“
Marc nickt: „Viele Möglichkeiten haben wir sowieso nicht. Und wir müssen halt die Schüler-Antifa aufbauen, damit wir nicht mehr allein sind.“
Alle stimmen ihm zu.
„Also, was denkt ihr?“, will Stefan wissen. „Sollen wir das übermorgen durchziehen?“
„Wieso übermorgen?“, fragt Elena.
„Von mir aus auch heute“, antwortet Stefan, „aber ich finde, jeder sollte sich die Gegend noch einmal vorher ansehen. Am besten während der Schulzeit, da laufen wir Alfred und Bernd dort nicht zufällig über den Weg.“
„Wohnen da nicht noch mehr von den Nazis?“ Petras Stimme klingt besorgt.
„Nee, ich habe mir das Büchlein genau angeschaut. Die anderen wohnen alle weiter weg.“
„Mann Stefan, du hast ja echt schon gute Vorarbeit geleistet“, sagt Vera bewundernd. „Hast du auch schon Detailpläne?“
„Ja, und zwar …!“
„Halt!“ Das ist Elena. „Zuerst sollten wir alle mal sagen, was wir von der Idee halten! Will jeder mitmachen? Kommt die Warnung bei den Flachwichsern an? Ist Gewalt eine Lösung? Ich möchte gerne von allen was hören! Außer von Stefan … Seine Meinung ist mehr als klar.“
„Ich mache mit. Die Botschaft kommt an. Gewalt erzeugt Gegengewalt.“ Marcs Statement ist kurz.
„Ich schließe mich Marc an“, sagt Vera und umarmt ihn. „Und das sage ich nicht, weil ich ihm nach dem Mund reden will!“
Alle lachen. Außer Petra. Sie raucht.
„Ich sehe es so wie die beiden.“ Dabei deutet Marlene auf Marc und Vera. „Allerdings weiß ich nicht, wie das mit der Gewalt ist. Ist mir aber auch egal. Die Schweine wollten meine Schwester vergewaltigen, und dafür muss es was hinter die Ohren geben. Weil wir das nicht können, machen wir es eben so!
Elena nickt zögernd und stimmt dann entschieden zu. „Ich bin dabei! Ist ja keine Gewalt gegen Menschen, nur gegen Sachen.“
Nun ruhen alle Blicke auf Petra. Sie nimmt einen tiefen Zug, hebt den Kopf und sagt mit leicht zittriger Stimme: „Ich kann das nicht. Ich habe viel zu viel Angst.“ Dann senkt sie schamhaft den Blick. „Tut mir leid.“
Sekundenlanges Schweigen.
Dann fragt Stefan. „Vor was denn? Beim Malen warst du doch total cool!“
„Ich habe Angst vor den Nazis. Dieser Vergewaltigungsversuch an Isabella, das macht mich fertig. Ich stelle mir vor, was die mit mir machen, wenn die mich erwischen. Da wird mir übel. Die kennen keine Grenze und keine Moral. Das sind
Unmenschen! Das ist ekelhaft! Die haben keinen Respekt vor dem Leben anderer. Das sind eiskalte Mutanten. Das ist mir zu krass. Das wird mir gerade klar!“
Petra fängt an zu weinen. Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht und schluchzt. „Entschuldigt, ich bin nicht so hart wie ihr.“
Wieder ist es Stefan, der die Stille durchbricht. „Ich kann dich total gut verstehen! Du hast mit allem völlig Recht. Darf ich dich trotzdem fragen, was du von der Idee hältst?“
Sie schaut ihn mit verheultem Gesicht an.
„Die finde ich gut. Und ich würde auch mitmachen. Aber ich würde mich vor Angst bepissen, drei Wochen nicht schlafen und vor Ort direkt in panische Schnappatmung verfallen. Wahrscheinlich würde ich sogar in Ohnmacht fallen.“
Sie lächelt verbittert über sich. Marlene gibt ihr ein Tempotaschentuch.
„Das tut mir wirklich leid. Ich bin für euch echt eine Belastung.“
Petra wischt die Tränen ab und schnäuzt sich. Dann schaut sie in die Runde.
„Und nun? Bin ich jetzt draußen?“
„Nein!“ Stefan lächelt sie zärtlich an. „Das könnte dir so passen … Aber eine weitere Frage: Würdest du uns denn helfen?“
„Na klar. Aber nur, wenn es für mich ohne Risiko ist. Seid mir nicht böse. Ich bin echt eine Schisserin. Ich kann das einfach nicht.“
„Macht nichts. Aber ich hätte da was für dich. Wir brauchen für meinen Plan nämlich jemanden, der nicht mitmacht. Der nicht vor Ort ist, sondern sogar weit weg davon“, erklärt Stefan.
„Verstehe ich nicht“, sagen Elena und Marlene im Chor.
„Naja, ich dachte an unsere Handys. Ich meine, die sind doch immer an, und dadurch können wir immer geortet werden. Wenn die Bullen bei deinem Anbieter anrufen, dann kann der sagen, wo du am Soundsovielten um soundsoviel Uhr gewesen bist. Und das machen wir uns zunutze.“
„Ich verstehe nur Bahnhof!“ Vera wirkt genervt.
„Also, die Idee ist die: Petra bekommt alle unsere Smartphones, angeschaltet, mit vollen Akkus. Auf einem Zettel stehen alle unsere Passwörter und PIN-Nummern. Während wir die Sache durchziehen, simst und chattet sie von hier aus mit Freunden von uns, ruft ein paar E-Mails ab, surft bei Instagram, schaut YouTube. Gerne kann sie auch mal ein Handy aus- und wieder anmachen, oder eine teure Hotline anrufen, die dann auch schön auf der Telefonrechnung erscheint. So ergibt sich ein klares Bild von uns allen: Wir waren hier bei Vera chillen, haben was getrunken und nebenbei mit unseren Elektrogeräten gespielt. Die Protokolle der Provider beweisen das. Nebenbei können wir uns natürlich noch alle gegenseitig als Zeugen dienen.“
„Stefan, das ist gut. Echt gut!“ Marc blickt ihn bewundernd an. „Saugut!“
Die Idee findet allgemeine Zustimmung. Die sechs einigen sich auf Donnerstag. Vorher müssen sich alle unabhängig und ohne Handys mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut machen. Der Plan sieht vor, dass am Aktionstag alle nach und nach bei Vera eintreffen. Ihre Mobilfunkgeräte bringen sie mit. Angepeilt ist 20 Uhr, denn um diese Zeit treffen sie sich sonst auch. Für Ermittler wäre bis dahin schon mal ein unabhängiges Ankunftsprofil zu erkennen. Bis 22 Uhr werden noch echte Telefonate geführt. Dass diese dann später nachlassen, ist ebenfalls normal. Ab 22 Uhr verlassen die fünf an der Aktion beteiligten dann unabhängig voneinander zeitversetzt die Wohnung und fahren ohne ihre Smartphones über verschiedene Wege mit den Fahrrädern zum Treffpunkt, der etwa einen Kilometer vom Tatort entfernt liegt. Die Räder werden unter einer Straßenlaterne mit einem Zahlenschloss angeschlossen. Die Zahlenkombinationen kennen alle und sie ist im Licht gut zu erkennen. Außerdem ist sie bei allen Schlössern gleich. Es wird nur die erste Ziffer um eine Stelle verdreht, um beim Aufschließen später Zeit zu sparen.
Petra sitzt bei Vera, hört Musik und spielt mit den Smartphones der anderen. Währenddessen bilden am Tatort Marc und Vera Team Nummer eins, Stefan und Elena sind Nummer zwei. Marlene bleibt an einem Punkt mit guter Sicht zu beiden Paaren stehen. Sie behält den Überblick über die gesamte Szenerie. Sie wird später auch als Erste zu den abgestellten Fahrrädern gehen, um sie aufzuschließen.
Stefan hat bei der Planung gute Arbeit geleistet und an alles gedacht.
„An den Fahrzeugen platziert eine Person die Grillanzünder, die andere hält die Umgebung im Auge und hält diese kleine LED-Lampe in der Hand. Wer macht das mit den Grillanzündern bei euch?“
Marc und Vera schauen sich an.
„Kann ich machen“, sagt Marc. Vera stimmt zu.
„Bei uns mach ich es, okay?“, fragt Stefan Elena.
„Von mir aus.“
„Wenn eine der beiden Gruppen bereit zum Entzünden der Grillanzünder auf dem Reifen ist, gibt Elena oder Vera mit der LED-Lampe ein kurzes Zeichen an Marlene“, erklärt Stefan. „Zweimal Blinken heißt ‚FERTIG‘. Marlene bestätigt das Zeichen mit ebenfalls zweimaligem Blinken. Erst wenn beide Pärchen das Zeichen ‚FERTIG‘ gegeben haben, gibt Marlene das ‚GO‘ zum Entzünden der Grillanzünder. Das ist drei Mal blinken, kurz-lang-kurz.“
Er schaut fragend in die Runde. „Verstanden?“
„Warum die Bestätigungen?“, will Elena wissen.
„Damit verhindern wir, dass der Grillanzünder der einen Gruppe schon angezündet wird, während die anderen noch gar nicht so weit sind.“
„Klingt logisch.“
Stefan spricht weiter. „Sobald die Grillanzünder brennen, begeben sich die beiden Paare über unterschiedliche Wege zurück zu den Fahrrädern. Marlene erkennt am Feuerschein, wann es auch für sie Zeit zum Verschwinden ist. Da sie als Erste bei den Rädern ankommen wird, schließt sie die Schlösser schon mal auf und wartet, bis die anderen auftauchen.“
Niemand sagt etwas, als er eine Kunstpause macht.
„Versteht ihr alles oder nur Bahnhof?“
„Nö“, antwortet Elena, „ich komme mit. Erzähl einfach weiter.“
„Okay. Dann radeln wir alle zusammen los. Erst zum Schlosspark, dann trennen wir uns und fahren auf unterschiedlichen Wegen zu Vera. Schwierig ist die Überquerung der Äppelallee und dann der Bahngleise. Das geht nur am Schlosspark oder hinter der Kreuzung der Biebricher Allee. Das ist unser Hauptproblem. Bei Vera schnappen wir uns die Handys, bleiben vielleicht noch kurz und fahren später zeitversetzt heim. In der Wohnung wird nicht über die Sache gesprochen.“
Er macht erneut eine Pause. „So dachte ich mir die Sache.“
„Klingt nach einem perfekten Plan“, sagt Marc.