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Antifa-Roman

32 | Der Mann aus Afrika IV

Am gleichen Montagabend läuft Neonazichef Peter Müller in seiner Wohnung nervös auf und ab. Außer ihm sind fünf Kameraden anwesend. Vor ihnen stehen die Weitzel-Hiwis Alfred Kromme und Bernd Habelmann. Sie wirken eingeschüchtert. Mit gesenktem Kopf betrachten sie ihre Schuhe.

Peter Müller ist ziemlich sauer. Er reißt fast an seinem Vollbart.

„Das heißt also, der Weitzel und ihr beiden Volldeppen habt versucht, so eine Ausländerfotze zu vergewaltigen?“

Keine Reaktion von Alfred und Bernd. Müller sieht die beiden wütend an.

„Hallo die Herren, ich habe euch etwas gefragt!“

Beide nicken kaum merklich, blicken aber nicht auf.

„Seid ihr eigentlich bescheuert? Ihr habt einen wichtigen Job, kommt an alle Akten ran. Und wegen so einem Scheiß sitzt der Schwachkopf Weitzel jetzt im Knast und ihr seid vermutlich euren Job los. Mann, ich könnte kotzen!“

„Die Gelegenheit war halt günstig. Möchte wissen, wie du reagiert hättest, wenn so eine mit nackten Titten auf dich zu rennt“, versucht sich Alfred kraftlos zu rechtfertigen.

„Außerdem hat der Weitzel gebrüllt, dass wir sie festhalten sollen.“

Peter Müller tritt auf ihn zu und schnappt Alfred am Kragen.

„Wir sind die deutsche Elite. Wir sind die, die unser Land vor dem Abschaum der Menschheit befreien werden. Und da kommst du mir mit deiner Geilheit. Von mir aus kannst du durchnehmen, wen du willst. Aber wenn das der Bewegung schadet, dann ist mir das verdammt nochmal nicht egal! Verstanden?!“

Er lässt den eingeschüchterten Alfred stehen und brüllt jetzt beide an.

„Meint ihr, es ist Zufall, dass dem Weitzel der Schwanz festgenagelt wurde?“

Zornig schaut er sie an.

„Einfach so? Weil hier so viele Irre herumlaufen? Mann, die Nummer war bestens vorbereitet. Das war ein Profi!“

Aufgebracht läuft er hin und her.

„Was für eine Idee, den Weitzel selber bei den Bullen anrufen zu lassen. Dann noch die Kinderpornos überall. Meint ihr, die Bullen haben Bock, einen zu suchen, der einen Kinderficker bestraft? Dafür hat doch jeder Verständnis. Sogar ich.“

Er macht eine Pause.

„Und was soll der Weitzel sagen, wenn er nach möglichen Gründen gefragt wird? ‚Ach, Herr Wachtmeister, vielleicht könnte es ja damit zusammenhängen, dass ich mit meinen beiden Gehilfen versucht habe, eine Schülerin zu vergewaltigen …‘“

Er macht eine Pause.

„Mit dieser Aktion habt ihr irgendwen geweckt, der nun richtig sauer auf den Weitzel ist. Und sicher auch auf euch. Ist euch das eigentlich klar, ihr beiden Hohlhirne?“

„Woher weißt du das denn alles?“, fragt Bernd mit aschfahlem Gesicht.

„Von meinem Vater. Der hat in der Stadtverwaltung beste Kontakte zur Polizei. Der Weitzel sitzt erstmal. Und mit der Kinderfickersammlung bleibt der auch ein paar Jahre im Bau. Brauchbare Spuren vor Ort hat die Kripo nicht gefunden, interessiert sie aber auch nicht sonderlich, wie gesagt. Die fanden den Kinderficker viel interessanter. Bullen sind nämlich auch Menschen mit Kindern, und die haben ebenfalls wenig übrig für so einen Perversen. Sie gehen übrigens von einer Täterin aus. Weitzel beschrieb eine Frau.“

Müller zermartert sich über seine nächsten Schritte den Kopf.

Was mache ich denn jetzt mit den beiden? Ich kann diese Trottel doch nicht einfach so laufen lassen. Ich muss ein Exempel statuieren. Ich muss klar machen, dass es bei uns Disziplin und Ordnung gibt, dass hier nicht jeder machen kann, was er will. Entweder jemand ist für uns oder gegen uns. Und wer für uns ist, macht was ich sage!

Doch Peter Müller hat noch weitere Sorgen.

Zwei Kameraden sind im Krankenhaus und über ein Dutzend eingeschüchtert. Was ist hier eigentlich los? Irgendwelche vermummten Kanaken drohen plötzlich meinen Leuten. Das gab es doch noch nie. Dann fliegen zwei vom Mofa, als sie einer Zecke eine Abreibung verpassen wollen. Und Weitzel sitzt im Knast. Gut, der ist nicht wichtig. Der hat nur ab und zu mal Sachen von uns bei sich gelagert, ohne zu fragen. An sich ein überflüssiger Typ. Alkoholiker. Zukunft im Reich: Arbeitslager … Da gehören Kinderficker sowieso hin. Oder besser gleich: Rübe ab!

Keiner seiner Männer rührt sich, während Peter Müller im Raum auf und ab läuft. Sein kariertes Holzfällerhemd flattert.

Meine Truppe ist eingeschüchtert. Es muss jetzt was Positives passieren. Etwas mit Disziplin und Härte.

Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen schreitet er weiter hin und her. Niemand spricht ein Wort. Es ist still. Müller spielt mit der Ruhe.

Stille ist eine Terrormaßnahme. Stille kann einschüchtern. Mein Schweigen macht ihnen Angst.

Aber das ist jetzt nur ein Nebeneffekt, eine psychologische Machtdemonstration am Rande.

Wichtig ist etwas ganz anderes.

Ich muss die illegalen Strukturen schützen. Es geht hier ja nicht um den legalen Dritten Weg. Wir sind für die Straße zuständig. Da müssen wir die Kontrolle ausüben! Wir können das machen, was die Offiziellen nicht machen können: wirklich kämpfen.

Abrupt bleibt er vor Alfred und Bernd stehen. Die beiden schauen ihn ängstlich an.

„Für eure Dummheit müsst ihr bestraft werden. Aber nicht ich werde über die Sanktionen entscheiden, sondern alle. Ihr habt allen geschadet, der ganzen Truppe, der ganzen Bewegung. Deshalb werden wir, die Bewegung, über euch zu Gericht sitzen.“

Die beiden wissen genau, was das bedeutet.

„Am Samstagabend werden wir uns im Parteisitz treffen und beratschlagen, was zu tun ist. Und ich rate euch zu kommen. Denn sonst erkläre ich euch zu Feinden der Bewegung. Ihr kennt die Konsequenzen … !“

Alfred und Bernd nicken. Sie wären dann vogelfrei. Aber sie wissen auch, was es heißt, wenn über sie zu Gericht gesessen wird. Sie sind bleich vor Angst.

„Abtreten!“

Sie drehen sich um und ziehen von dannen.

Bei den Kameraden vor Gericht zu stehen, ist übel. Beide waren schon dabei, wenn Urteile über andere gefällt wurden. Es sind immer physische Züchtigungen. Dabei versuchen sich die Kameraden gegenseitig zu übertreffen. Brutalität gegen andere soll die eigene Härte beweisen. Aber die meisten sind schlicht von Rache getrieben, weil jeder Angeschuldigte auch schon mal eine Strafe für einen anderen gefordert hat. Es ist ein Teufelskreis, der mit Ehre und Treue nichts zu tun hat, sondern nur mit Erniedrigung, Angst und Macht.

Manche Neonazis sind primitive Sadisten, oft selbst Opfer von Schlägen durch ihre Eltern, geben sie das unmenschliche System an ihre Umwelt weiter und später an die eigenen Kinder. Kein Faschist erzieht seine Kinder gewaltfrei. Eine endlose Linie widerlichen Missbrauchs.

Alfred und Bernd erwarten am Samstag Schläge. Urteil und Vollzug folgen unmittelbar aufeinander. Kein Einspruch, keine Neuverhandlung, keine Revision!

Es sind noch fünf Tage bis Samstag!

Fünf Tage Angst für Alfred und Bernd.

„Männer, nach diesem bedauerlichen Vorfall habe ich allerdings auch noch eine gute Nachricht“ sagt Müller, und reibt sich die Hände. „Erinnert ihr euch noch an den toten Neger?“

Die Nazis nicken grinsend.

„Der ist ja so saudumm von der Bank gefallen, dass er dabei verstorben ist. Die Neger halten ja nichts aus.“

Alle lachen.

„Die sind eben nicht wie wir“, ruft einer, „hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder.“

Zustimmung unter den Anwesenden.

„Unser Kamerad ist heute freigesprochen worden. Mangel an Beweisen.“

Erneut erfreutes Gejohle.

„Wir müssen aus solchen Vorfällen lernen.“

Ernste Blicke, beipflichtendes Gemurmel.

„In dem Fall sind es mehrere Punkte. Erstens: Die Bullen kamen nur auf unseren Mann, weil eine Zeugin das Kennzeichen gesehen hatte. Zweitens: Unser Mann hat keine Aussagen gemacht. Der Anwalt erklärte, sein Mandant habe das Auto seit Wochen verliehen. Es stehe allen Freunden immer zur Verfügung. Werner hat bei der Polizei nichts gesagt, sondern seinem Anwalt sprechen lassen. Also, immer schön die Schnauze halten!“

„Unsere Omertá!“, flüstert einer.

„Genau. Und drittens: Alle waren bei der Aktion vermummt und trugen Handschuhe. Die Polizei fand keine verwertbaren Spuren. Das ist sehr gut. So muss es sein. Viertens: Zuhause hatte Werner nichts herumfliegen, was relevant war für den Prozess. Also weder Sturmhauben noch Stiefel mit Negerblut oder Gehirnresten von dem Affen dran. Auch das war sehr gut.“

„Was ist denn mit dem Tattoo?“, fragt einer dazwischen.

„Ja, das ist ein Negativpunkt. Es gab eine Zeugin. Die hat gegen ausgesagt. Und wer gegen uns ist … Na, ihr wisst schon. Es ist so eine Türkenschlampe mit dem Namen Kadriye Aslan.“

„Weißt du, wo sie wohnt?“

„Na klar, unsere Verbindungen ins Ordnungsamt sind exzellent. Niederwaldstraße 9 ist die Adresse. Ihr solltet sie euch mal vornehmen. Aber nicht gleich, das muss warten, damit wir nicht sofort in Verdacht geraten. Außerdem braucht Werner unbedingt ein wasserdichtes Alibi, wenn es zur Strafaktion gegen diese Feindin der Bewegung kommt.“

Peter Müller schaut erwartungsvoll in die Runde.

„Wir sprechen über die Sache noch genauer. Aber schaut euch schon mal in der Gegend um, damit alles vorbereitet ist, wenn wir gegen die Schlampe aktiv werden.“

„Was ist mit dem Tattoo vom Maik?“

„Das wird bald überstochen. Aber jetzt kein Wort mehr darüber. Nirgendwo und zu niemandem! Klar?!“

Damit beendet der die Zusammenkunft.

Auch Alfred und Bernd gehen. Noch fünf Tage.