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Antifa-Roman

53 | Das Puzzle

Mehrere Stunden lang sitzen Vera, Marlene und Marc zusammen, um in Marcs Zimmer Fotos zu sortieren. Der Fotograf hat ganze Arbeit geleistet. Die Bilder von den Nazis sind hervorragend. Großaufnahmen von Tätowierungen werden Gesichtern zugeordnet, und diese wiederum mit Namen, Adressen und Funktionen in Übereinstimmung gebracht. Sie kombinieren Informationen aus dem Büchlein, den Datenbanken von Max und den Fotos von Frolic. Aber von den 25 Nazis bleiben fünf unbekannt. Da kann nur der Alt-Antifa helfen.

Mit ihm sitzen Marlene und Vera nun beim Griechen in Wiesbaden-Schierstein. Frolic ist offenbar schon einige Zeit vor ihnen da gewesen. Vor ihm steht ein fast leerer Teller mit eingelegtem Feta.

„Hi. Schön euch zu sehen“, sagt er schmatzend. „Handys daheim gelassen?“

„Klar, Mann“, kommt es wie aus einem Mund. „Wir sind doch Profis!“

Die drei lachen.

Dann schaut er ernst.

„Danke für die Unterlagen. Das ist ein einmaliger Schatz. Wahnsinn!!“

„Gern geschehen“, sagt Marlene stolz. Frolic stochert auf seinem Teller herum.

„Ihr seid krass drauf“, sagt er beeindruckt. „Ich bin echt baff. Hut ab.“

„Danke. Aber nun brauchen wir deine Hilfe. Dafür haben wir dir auch noch etwas mitgebracht.“

„Hilfe gegen Nazis gibt’s immer und umsonst. Und ihr habt von mir jetzt lebenslange Unterstützung. Was ihr geliefert habt, ist sensationell!“, grinst er. „Weitere Geschenke werden aber trotzdem gerne genommen.“

Er schaut Marlene und Vera erwartungsvoll an, während er sich ein Stück weißen Käse in den Mund steckt.

„Das Geschenk ist hier. Aber erst zuhause öffnen“, sagt Vera und schiebt ihm einen Umschlag zu.

„Was ist das?“, fragt Frolic, und steckt den Umschlag ein.

„Fotos. Nicht fragen, genießen!“ Vera sieht ihn an, während ihr Frolics Augen tausend Fragen stellen. Aber er sagt nichts.

„Außerdem haben wir hier fünf Bilder. Wir wissen leider nicht, wer das ist. Kannst du helfen?“ Sie legt fünf zusammengefaltete Blätter auf den Tisch. Von außen ist nur weißes Papier zu sehen.

„Sind die da drauf gedruckt?“

„Ja, hoffentlich kennst du sie.“

„Okay. Ich nehme die Ausdrucke mal mit aufs Klo. Hat eine von euch einen Stift?“

Marlene kramt in ihrer Handtasche und gibt ihm einen Kuli. Frolic steht auf und geht.

„Oh Mann, hat der doof geguckt“, freut sich Vera.

„Ja, und sein Gesicht würde ich gerne sehen, wenn er sich zuhause die Fotos anschaut.“

Die beiden lachen in sich hinein.

Frolic kommt nach einigen Momenten zurück.

Wortlos überreicht er die zusammengefalteten Fotos und den Kuli.

„Namen stehen auf der Rückseite. Ich bin mir bei allen sicher.“

„Ach ja, wegen des Mitbringsels. Es sind Fotos. Sie werden dir gefallen. Aber eine Bitte: bis zum Aufmarsch keines davon veröffentlichen oder weitergeben. Okay?“

„Versprochen“, sagt Frolic. „Darf ich fragen, was es für welche sind?“

„Lass dich überraschen. Aber du wirst dich freuen. Ganz bestimmt.“ Marlene strahlt über das ganze Gesicht.

„Gehören sie zur Sammlung von denen eben?“

„Da ist aber jemand neugierig …“, antwortet Vera gespielt schnippisch. Frolic stochert wieder auf seinem Teller herum. Er ist etwas verlegen.

„Ihr seid einfach unfassbar. Da fällt mir wirklich nichts mehr ein. Hoffentlich geht es euch nicht an den Kragen“, bemerkt er besorgt. „Aber wenn was ist, oder ihr Unterstützung braucht, dann sagt Bescheid. Es gibt hier noch ein paar gute Leute! Habe ich euch ja auch beim letzten Mal schon gesagt.“

Bevor sie sich trennen, sagt er noch: „Wir wissen aus guter Quelle, dass die Nasen ziemlich verstört sind. Die Fotos im Kurier haben Wunder gewirkt!“

Sie verabschieden sich und die beiden jungen Frauen verlassen die Kneipe. Frolic geht erst 15 Minuten später. Die beiden gefallen ihm. Doch parallel ist er im Kopf schon wieder bei dem Aufmarsch und den Vorbereitungen dagegen. Bisher läuft alles ganz gut. Das „Bunte Bündnis gegen Braun“ hat sich auf einen Demobeginn in der Nähe geeinigt. Viele Gruppen haben sogar zugestimmt, an den Blockaden teilzunehmen. Und genau darauf kommt es Frolic und seinen Leuten an. Die Nazis zum Stehen zu bringen. Sie wollen erreichen, dass sie nicht durch Wiesbaden marschieren können. Das ist der Hauptkonsens aller Gruppen.

Denn nur in diesem Fall kommen die braunen Schweine vermutlich nicht wieder. Es geht der rechten Brut nämlich nur um einen Punkt, sie wollen zeigen: „Wir sind wieder da!“ Und nur da, wo konsequent Aufmärsche verhindert wurden, sorgt langfristig Frustration und das Gefühl von „besiegt worden sein“ bei den Faschisten für einen Ortswechsel. Sobald sie irgendwo laufen können, und sei es nur in einem Industriegebiet, verbuchen sie das als Sieg und kommen wieder.

Bisher haben die Trottel vom Wiesbadener Ordnungsamt genau das nicht kapiert. Der verantwortliche Grüne sieht es sogar als Trumpf, dass er die Nazis beim letzten Mal ‚nur‘ im Vorort Erbenheim aufmarschieren ließ! denkt Frolic. Und deshalb haben wir sie jetzt wieder an der Backe.

Gedankenverloren läuft er die Straße entlang. Seine Finger spielen mit der SD-Karte in seiner Tasche.

Es ist einfach unglaublich, wie in diesem Land Neonazis und VS verfilzt sind. Es waren Fotos von uns Antifaschisten, die bewiesen, dass die Nazimörder des NSU schon früher auf Versammlungen und Demonstrationen zusammen aufgetaucht waren. Die Fotos zeigten außerdem, dass die drei Haupttäter fest in die militanten Nazistrukturen von Blood and Honour eingebunden waren. Mit einem riesigen Unterstützernetzwerk drum herum …

Wenn er genauer nachdenkt, dann kotzt ihn dieser verlogene Staat an, der Nazis schützt und Antifas das Leben schwer macht, aber offiziell seit der Schröder-Regierung selbst auf antifaschistisch macht.

Wo ist eigentlich die RAF, wenn man sie mal braucht? Alles muss man selber machen …

Dann sind seine Gedanken schon wieder beim Nazi-Aufmarsch. Ein paar politische Gruppen sind der Meinung, am 9. November zu den Nazis durchbrechen zu können, um sie anzugreifen. Für Frolic sind das Spinner.

Klar sollte man die Nazis platthauen, wenn es geht. Aber ein mehrreihiges Polizeispalier überwinden zu wollen, ist schlicht unrealistisch.

Drumherum hingegen, so im weiten Umfeld des Aufmarschs, da sind Nazis leichte Beute. Wenn man sich gut vorbereitet und auch ohne „Szene-Ruhm“ leben kann, dann kriegt man immer ein paar von den Pennern vor die Faust. Oder deren Infrastruktur. Denn die müssen irgendwie anreisen. Wenn sie mit der Bahn kommen, treffen sie sich meistens irgendwo an einem Bahnhof und fahren dann zusammen in einem Zug. An solchen Treffpunkten stehen dann immer viele Nazi-PKWs herum. Einfache Ziele. Und wenn sie dann abends dort losfahren wollen, kann man noch einmal nachsehen, ob man nicht ein paar von ihnen ohne Bullenbegleitung, also ohne staatliche Schutzstaffel, trifft …

Frolic schwelgt in Erinnerungen aus den 1980er Jahren, als er noch militanter Antifaschist war und mit seinen Leuten den braunen Drecksäcken regelmäßig den Alltag versalzen hat.

Auch ein beherzter Griff an der Notbremse wirkt Wunder. Da bleiben die Nazi-Ärsche einfach erst einmal irgendwo stehen. Wenn dann noch ein Gläschen Buttersäure ausgegossen wird, ist der Aufenthalt in den Waggons die Hölle. Man kann die Nazis auch am Abend vorher zuhause besuchen. Sie verprügeln, so dass sie nicht mehr reisefähig sind, oder ihre Fahrzeuge unbrauchbar machen. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Schließlich kommt Frolic in seiner WG an.

Aber die Aktion mit den nackten Nazis ist eine der besten, die ich je erlebt habe. Die jungen Leute sind echt keine Maulhelden. Die ziehen die Sachen einfach durch. Und sie lernen schnell.

Er schließt die Tür auf.

So, jetzt bin ich mal auf die „Geschenke“ gespannt.

Er schaltet seinen Antifa-Arbeits-Laptop an und beginnt mit dem nervigen Prozess der Entschlüsselung. Dann steckt er die SD-Karte von Marlene und Vera in den Schlitz. Als er die Dateien öffnet, traut er seinen Augen kaum. Noch nie hat er einen Haufen so erbärmlicher Gestalten gesehen. Wimmernde und jammernde Nazis in Unterhosen. Foto um Foto geht er die Bilder durch. Fast hat er Mitleid mit ihnen. Doch er schmunzelt die ganze Zeit. So etwas ist ihm in 30 Jahren antifaschistischer Praxis noch nicht in die Finger gekommen. Ein Geniestreich. Die Schüler werden ihm immer sympathischer.