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Antifa-Roman

26 | Dienstagstreffen bei Vera

Der erste Tagesordnungspunkt auf dem Treffen der sechs bei Vera ist die Vorbereitung des ersten Termins der neuen Antifagruppe.

„Werden wir uns als die Gruppe outen, die das Ganze angeleiert hat?“, fragte Elena.

Vera antwortet: „Nein, das sollten wir auf keinen Fall tun. Niemand soll denken, wir hätten ein privates Problem mit den Nazis. Wir treten nur wie Freunde auf, weiter nichts.“

Sie sprechen den Termin durch. Weil Petra ihre Feuerprobe bei der Schulvollversammlung so gut bestanden hat, wird sie auch dieses Treffen leiten.

Als sie fertig sind, ist es 22 Uhr. Alle wollen nur noch ins Bett. Am nächsten Morgen ist wieder Schule.

Stefan macht trotzdem noch einen Vorschlag. Er hat den feigen Angriff der beiden Nazis auf ihn noch immer nicht überwunden. Auf dem Schulhof sieht er sie täglich. Einen hat er wiedererkannt. Er will Rache. Die anderen sollen ihm helfen.

Elena widerspricht ihm.

„Zwar halte ich hundertprozentig zu dir, aber wir dürfen die Sache nicht eskalieren lassen.“

„Tolle Freunde, die einem in der Not nicht beistehen.“ Stefan steigt die Wut hoch. Die Attacke hat ziemlich an seinem Ego gekratzt. Marc versteht ihn zwar, macht sich aber auch Sorgen über die weitere Entwicklung.

„Wenn es jetzt auf dem Schulhof rundgeht, kann das die neue Schul-Antifa gefährden. Wir sind noch nicht genug Leute, um gegen die Rechten körperlich bestehen zu können. Denk dran, die sind mehr. Wir sechs würden ganz klar den Kürzeren ziehen.“

Sein Argument ist einleuchtend, aber in Stefan brodelt es. „Ich will nicht warten, bis wir irgendwann genug sind. Man muss die Arschlöcher jetzt stoppen. Ein Zurückschlagen kann auch zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lässt. Das kann auch ein positives Signal sein. Es kann den anderen beweisen, dass wir keine wehrlosen Opfer sind.“

Vera stimmt ihm zu, wendet aber ein, dass sie für eine Eskalation auch gerüstet sein müssten. „Es hat doch keinen Sinn zurückzuhauen und sonst nichts mehr auf der Pfanne zu haben. Leider haben wir derzeit ja nicht viel zu bieten.“

Marlene schließt sich Veras Einwand an. „Obwohl ich Stefan total verstehen kann. Bei uns in Italien heißt es immer: Auge um Auge. Das hört sich doof an, aber es gibt nun mal eine Grenze, die nicht ohne Reaktion überschritten werden darf. Wer sie übertritt, muss zahlen. Dazu ist bei uns die Familie verpflichtet oder eben Freunde und Genossen. Es geht ja hier nicht um sinnlose Blutrache wegen eines gestohlenen Esels vor hundert Jahren, weshalb sich manche Familien in unseren Dörfern seit Jahrzehnten hassen, sondern um einen feigen körperlichen Angriff gegen einen von uns. Da müssen wir zurückschlagen! Gar keine Frage. Nur eben nicht jetzt. Die Nazis würden das dann nämlich ebenfalls nicht auf sich sitzen lassen und darauf müssen wir gewappnet sein. Da hat Vera recht. Andernfalls würden wir doppelt und dreifach zahlen!“

„Aber wir haben doch schon ein Problem! Oder besser: Ich habe eins. Aber das scheint euch ja egal zu sein.“

„Jetzt hör aber auf Stefan!“ Elena reagiert gereizt. „Das ist unfair. Niemand sagt, dass wir nichts wegen des Angriffs tun wollen. Die Frage ist nur, was und wann. Vielleicht fällt uns ja auch was völlig anderes ein. Etwas, was gemein ist, aber trotzdem wirkungsvoll. Vielleicht sogar ohne direkte Konfrontation. So was Mieses hintenrum. Wir könnten denen irgendwie die Zukunft versauen, sie bei ihren Ausbildungsstellen anschwärzen oder sowas.“

„Außerdem heißt es bei uns in Italien: Rache hat kein Verfallsdatum!“

„Müssen wir denn wirklich überhaupt was machen?“ Aus Petras Stimme klingt wieder die Angst. „Sollen wir nicht einfach aufhören? Ich meine, wir haben verloren. Fertig. Den Rest soll die Polizei machen.“

„Erst eine Schülerversammlung leiten und dann einknicken?“, sagt Vera. „Wie bist du denn unterwegs?“

„Ach, ich weiß nicht, mir ist das alles zu heftig.“

„Das geht nicht, Petra. Vergiss es. Aber vielleicht willst du ja gehen. Vielleicht ist das ja einfach nichts für dich“, sagt Marc.

„Ja, du kannst dich ja auch einfach zurückziehen“, schlägt Stefan vor.

„Ihr wollt mich rauswerfen?“, fragt Petra.

„Nein. Aber du könntest es selber tun“, antwortet Marc ruhig.

„Aber du hast doch gesagt, dass ich unfähig bin!“, sagt Petra. Sie zündet sich eine Zigarette an.

„Geh damit bitte ans Fenster“, herrscht Vera sie an. Die Raucherei geht ihr auf die Nerven.

„Petra, das hat Marc nicht gesagt“, widerspricht Marlene.

„Zwischen den Zeilen.“

„Auch nicht!“, sagt Vera. „Du wolltest gehen.“

„Marc sagt nur, dass du das tun könntest“ ergänzt Stefan. „Niemand hat gesagt, dass du es tun sollst, oder dass wir das wollen.“

„Also wollt ihr, dass ich nun gehe oder nicht?“ Petra sieht Marc fragend an.

„Was willst du denn selbst?“

„Weiß ich nicht.“

„Finde es eben raus“, schlägt Vera vor.

„Kann ich nicht allein.“

Schweigen.

„Kann ich nur mit euch.“

„Gut, dann helfe ich dir“ sagt Marc. „Ich will nicht, dass du gehst. Aber deine Angst beherrscht dich. Du bist panisch.“

„Das ist gefährlich für uns alle“, wirft Marlene ein.

„Also soll ich doch gehen!“

Marc ignoriert ihren Einwurf. „Denk doch mal an die Aktion beim Barzel“.

„Das war scheiße. Dafür habe ich mich doch auch schon entschuldigt!“, erwidert Petra.

„Lasst Petra doch in Ruhe“, beschwichtigt Vera. „Sie muss das alles halt noch üben. Deinen Auftritt als Leiterin der Versammlung fand ich jedenfalls super!“

„Ich auch“, sagt Elena.

Die anderen nicken zustimmend.

„Ja, das war er“ bestätigt Stefan. „Dabei wolltest du erst gar nichts sagen.“

„Du hast mich gezwungen“, lächelt sie ihn an. „Du Schuft!“

Stefan lacht. „Hat doch gut geklappt.“

„Ich bin also noch dabei?“, fragt Petra unsicher.

„Du warst nie draußen“, sagt Vera.

Petra lächelt.

„Ihr seid die Besten.“

„Aber bastel‘ dir eine Art Angstfilter, okay?“, sagt Elena lachend.

„Mach‘ ich! Versprochen!“ Petra entspannt sich. „Danke.“

„Gut“, sagt Stefan, richtig gut gelaunt. „Lasst uns weitermachen mit den Ideen gegen die braunen Ratten. Elena wollte sie anschwärzen.“

„Nein, das mache ich nicht. Das ist doch das Allerletzte. Ich bin keine Denunziantin.“ Marlene schüttelte angewidert den Kopf.

Aber Veras Augen leuchten. „Die Idee ist doch gut. Wir könnten irgendwelche peinlichen Details über sie bekannt machen.“

„Wie denn? Wir wissen doch gar nichts über sie, und zweitens kann man uns dann als Urheber leicht herausbekommen“, wendet Marc ein.

„Denkt doch mal nach!“, sagt Veras voller Begeisterung. „Stellt euch mal vor, überall hingen Plakate mit den Schulnoten von ein paar von ihnen. Und dass sie die letzten Loser sind und vielleicht schon mehrfach durch die Mofaprüfung gefallen sind oder so was. Wie wäre das denn? Da drehen die doch durch.“

„Gute Idee!“, findet Petra. „Nur woher kriegen wir die Informationen?“

„Das weiß ich auch noch nicht. Vielleicht hat jemand eine Idee?“, fragt Vera in die Runde. Niemand hat eine. So geht es noch eine Weile ergebnislos hin und her, dann trennen sie sich kurz vor Mitternacht.

Stefan fährt voller Rachegedanken nach Hause. Ich werde es den Nazischweinen heimzahlen, schwört er sich. Irgendwie! Als ersten Schritt beschließt er, das Verhalten der beiden Angreifer auszuspähen. Wenn ich ihren Tagesablauf kenne, kenne ich ihre Schwachstelle. Wie sagte mal ein Sifu aus meinem Kung-Fu-Training: „Hab Geduld! Nicht durch Aufschlagen, sondern durch Ausbrüten wird aus dem Ei ein Küken! Hab Geduld!“

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