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Antifa-Roman

27 | Das erste Mittwochstreffen

Das erste Treffen der Antifa-Gruppe verläuft chaotisch. Ständig kommen neue Jugendliche hinzu, Smartphones klingeln, andere schauen Filme auf Instagram. Nach einer Dreiviertelstunde können sie endlich anfangen. Es sind ungefähr 20 Personen anwesend. Petra übernimmt wie abgesprochen die Begrüßung und die einleitenden Worte. Erwartungsgemäß hat sich niemand etwas überlegt. Sie wollen einfach mitmachen, Vorschläge hören, etwas geboten bekommen. Eigene Ideen sind erst einmal Fehlanzeige.

Elena meldet sich wie vereinbart mit der Idee einer Vorstellungsrunde. So wollen die sechs das Eis brechen. Elena beginnt.

„Ich heiße Elena und bin aus der 10c. She/her. Besondere Erfahrungen habe ich nicht, aber mir gehen Nazis auf den Wecker. Außerdem habe ich viele ausländische Freunde. Für die Schul-Antifa wünsche ich mir, dass wir einfach mal reden, was man gegen Nazis machen kann.“

Als Nächster hebt Max den Finger.

Das ist doch der Schüler, der mir schon in der Vollversammlung durch mutige Fragen aufgefallen war. Bill Gates hatte ich ihn getauft, erinnert sich Petra.

„In meinem Wohnblock steht immer eine Gruppe herum, die einfach unangenehm ist. Wer zu nah an ihnen vorbeigeht, wird angepöbelt. Vor allem, wenn er eine andere Hautfarbe hat. Allerdings gibt es auch eine Gruppe junger Ausländer, die eigentlich keine Ausländer sind, die sind alle hier geboren, sind aber dunkelhäutig. Die pöbeln ebenfalls andere an. Allerdings alle, ohne Unterschiede. Die sind auch ätzend. Manchmal pöbeln sich die beiden Gruppen auch gegenseitig an oder verbünden sich gegen Schwule oder Bettler. Ich wünsche mir einfach, mehr zu verstehen von den Dingen, die so passieren.“

Pause.

„Ach ja, ich heiße Max und bin jetzt in der 11. Die Pronomen sind mir egal.“

Schließlich melden sich immer mehr Anwesende und erzählen.

Stefan hört nur halb zu. Mit diesen Leuten kann er erst einmal nicht rechnen. In seinen Gedanken formt sich eine Idee, wie er sich alleine rächen kann.

Die Erzählungen der Schüler sind eine interessante Mischung aus Erwartungen und Erlebnissen. Ungefähr ein Drittel hat schon negative Erfahrungen mit Neonazis gemacht. Die meisten, weil sie ausländisch oder unangepasst aussehen. Körperlich ist nur ein Hip Hopper bisher angegriffen worden. Er hatte einem Nazi verbal Kontra gegeben.

„Der ist dann sofort auf mich losgegangen. Aber ich bin Blaugurt im Judo, das war dann doof für ihn. Als Judoka wurde ich leicht mit ihm fertig. Doch dann kamen vier Kumpels von dem, da musste ich abhauen – ohne mein Longboard. Das haben die Arschlöcher dann zu Kleinholz verarbeitet, weil sie mich nicht gekriegt haben! Seitdem schaue ich in der Stadt immer um mich, ob die irgendwo rumhängen.“

Als schließlich Celeste tapfer zu erzählen beginnt, ist es völlig still. Gefasst spricht sie von ihrem ermordeten Vater, von der Flucht durch Afrika, ihrer im Mittelmeer ertrunkenen Mutter und ihrem Bruder. Sie beschreibt das Heim, in dem sie jetzt lebt, den Gerichtsprozess, und dass es so aussieht, als ob niemand verurteilt werde. Wieder fließen ihr die Tränen und Vera nimmt sich ihrer an. Celeste liegt an ihrer Schulter und schluchzt.

Die anderen sind fassungslos. Ein paar wissen von dem Prozess, aber die meisten haben bisher nur von dem Nazi-Mord gehört. Nie hätten sie gedacht, dass sie Tochter des Totgetretenen auf ihre Schule geht.

Auf dem nächsten Treffen wollen sie mal konkreter darüber diskutieren. Auch wollen sie sich woanders treffen, um nicht von der Schulleitung abhängig zu sein.

„Das hat ja alles wunderbar geklappt!“, freut sich Marc, als die Sechserbande nach dem ersten Treffen wieder gemütlich bei Vera sitzt. „Und du Elena warst sehr überzeugend in deiner Rolle als unwissende Schülerin.“

Elena grinst ihn an. Die anderen vier müssen ebenfalls schmunzeln.

„Irgendwie war das alles nicht so echt. Das haben wir doch inszeniert, ohne uns wäre da doch gar nichts passiert.“ Petra zeigt ihr Missfallen deutlich. Sie mault, aber es klingt mal nicht nach „Ach, hören wir doch besser auf!“, wie üblicherweise sonst bei ihr …

Vera ist nicht ihrer Meinung. „Na und? Klar war’s ein bisschen inszeniert, aber trotzdem echt. Wir haben nur den Anfang gemacht. Der Rest ergab sich mit allen zusammen. Manchmal muss man einen Anstoß geben. Was weiter passiert, darauf haben wir zwar einen gewissen Einfluss, können es aber nicht vorherbestimmen.“

Alle nicken beipflichtend. Stefans Gedanken sind immer noch auf seine Vergeltung gerichtet. „Aber habt ihr auch gecheckt, dass wir mit denen die Nazis nicht verhauen können? Außer dem einen, der Judo macht vielleicht. Wie wollen wir denn nun mehr werden, um ihnen mal die Fresse zu polieren?“

„Jetzt hör mal auf mit deiner verletzten Mackerehre. Es geht doch nicht nur darum, die braunen Scheißer zu verprügeln und militärisch siegreich zu sein. Wir wollen doch auch langfristig was gegen die rechte Brut tun. Ein paar auf die Schnauze ist da auf Dauer nicht ausreichend“, antwortet Marlene aufbrausend.

„Danke für den Hinweis“, antwortet Stefan mit überheblichem Unterton. „Aber Gelaber allein bringt auch nichts. Die Jungs verstehen einfach nur ein paar in die Fresse.“

„Jaja“, pflichtet Marc seinem Freund wieder einmal bei. „Nur das steht doch im Moment nicht im Vordergrund. Wir müssen doch erstmal die Schulgruppe auf die Reihe kriegen. Verschieb deine Wut nochmal. Du bekommst deine Gelegenheit bestimmt noch.“

„Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann“, zitiert Petra Schiller.

„Klugscheißerin“, sagt Stefan genervt. Er ist nicht einverstanden, sagt aber nichts weiter. Er widmet sich wieder seinem Plan. Und zitiert Schiller ebenfalls, aber nur im Kopf: Der Starke ist am mächtigsten allein.